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„Die Bewegung bewahrt die Theologie vor ihrer Reduktion auf Moral“

INTERVIEW mit Professor Dr. Siegfried Macht

KIRCHENKREIS – Gut besucht war der Workshop „Singen, Bewegung und Tanz in Kinder- und Familiengottesdiensten“, den Prof. Dr. Siegfried Macht aus Bayreuth im Haus des Kirchenkreise leitete. Eingeladen waren Pfarrerinnen und Pfarrer, Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, Mitarbeitende in Kindertagesstätten und Grundschulen sowie Mitarbeitende in Kindergottesdiensten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlernten an diesem Nachmittag neue Kinderlieder, Tänze und Bewegungsspiele zu den bekanntesten biblischen Geschichten und zu den großen Festen des Kirchenjahres.

Die kreiskirchliche Beauftragte für den Kindergottesdienst, Pfarrerin Kathrin Alshuth, nutzte die Gelegenheit zu einem Interview mit Prof. Dr. Macht.

Kathrin Alshuth: Herr Macht, Sie sind der einzige Kirchenmusikpädagogikprofessor in Deutschland. Wie wird man das?

Siegfried Macht: Das ist eine lange Geschichte. Von Haus aus bin ich Hauptschullehrer für Musik und Religion und habe daneben schon Fachbücher zu musischen Konzeptionen von Religionsunterricht publiziert. Dann folgte eine Zeit als Dozent in der Fortbildung, erst von Musik- und Religionslehrerinnen und -lehrern, später auch von Vikarinnen und Vikaren (erst für die hannoversche Landeskirche, dann für die württembergische). Parallel dazu ein Dissertationsstudium mit einer abschließenden Doktorarbeit zum Thema „Lied und Tanz in Bibel und Kirchengeschichte“ – quasi eine kleine Theologie der Leiblichkeit bis hin zu praktischen Anregungen für Schule und Gemeinde.
Mein Anliegen, nicht nur Schul- und Kirchenmusikerinnen und -musiker, sondern auch Religionslehrerinnen und -lehrer sowie Pfarrerinnen und Pfarrer in der Aus- und Fortbildung von den Chancen des Tanzes zu überzeugen hat sich dann bald herumgesprochen. Dabei ging es mir nicht nur um die Arbeit mit Kindern, sondern um eine Öffnung der sinnlichen Erfahrungen über die Jugendarbeit hinaus bis zur Erwachsenenbildung und zum Gottesdienst. Mit diesem Schwerpunkt war ich viel als Gastreferent unterwegs. Unter anderem auch in der Bayreuther Kirchenmusikhochschule. Als dort 2002 eine Professur für den Bereich Kirchen-Musik-Pädagogik eingerichtet wurde, erinnerte man sich an mich und ich hatte das Glück, die Stelle zu erhalten.

Kathrin Alshuth: Wie sind Sie zum Tanz gekommen?

Siegfried Macht: Nicht von vornherein. Wie wohl viele Männer gerade in Deutschland war ich kein „geborener Tänzer“. Als Jugendlicher spielte ich lediglich etliche Instrumente in einer Folklore-Band. Ein Grundkurs Tanzen war damals alles. Auch das Musikstudium brachte nur wenig Auseinandersetzung mit Musik und Bewegung. Erste Lehrmeister waren diverse Folklore-Tanzgruppen. Aber der eigentliche Impuls zum Tanz ging seltsamerweise von der Theologie aus. Mir ist irgendwann aufgefallen, dass die Theologie das Reden von der Bewegung braucht, wenn sie nicht zur Moralpredigt verflachen will. Ohne Bewegungsbilder fehlt ihren eigentlichen Inhalten der Kern. Ein Beispiel ist die Rede von der Buße. Als Befreiung kann ich sie nur begreifen, wenn ich sie als „Umkehr“ (zum Leben) erlebe – sonst bleibt die Assoziation „büßen“. Aber es geht nicht um einen rächenden Gott und nicht um einen griesgrämig verzichtenden Menschen, es geht um die Hinwendung zur wirklichen Fülle (was natürlich die Abwendung von einer scheinbaren Fülle oft einschließt). Und denken Sie an den Tanz um das „Goldene Kalb“ – da war nicht der Tanz falsch, sondern die Mitte. Stellen Sie sich stattdessen die „10 Gebote“ als Beweggrund (schon wieder eine unverzichtbare Bewegungsvokabel!) vor: Da hätte Mose den Tanz gelobt! Frei nach Luther möchte ich sagen: Was dich bewegt, das ist dein Gott.

Kathrin Alshuth: Tanz und Theologie der Leiblichkeit, das sind Begriffe, die wir eher mit Frauen und mit feministischer Theologie verbinden.

Siegfried Macht: Das ist auch lange so gewesen. Inzwischen wächst aber der Anteil der Männer in entsprechenden Seminaren.

Kathrin Alshuth: Wie arbeiten Sie? Wie entstehen Ihre Lieder und Tänze?

Siegfried Macht: Unterschiedlich. Zunächst habe ich traditionelle Lieder und Tänze gesammelt, in denen biblische Texte ausgestaltet wurden. Dann habe ich begonnen, solche Verknüpfungen nicht nur zu „entdecken“, sondern auch zu „erfinden“ indem ich starken bildhaften Bewegungen das unterlegt habe, was sie mir „bedeuteten“. So entstanden neue Liedtexte zu fast vergessenen Volkstänzen: Zwei Reihen bewegen sich aufeinander zu und entfernen sich. Dann beginnt die Gruppe, sich von oben her aufzulösen und läuft durch die Gasse. Da denke ich sofort an die Wasser des Schilfmeeres, die sich voneinander entfernen und wieder schließen, vorher aber das Volk Israel hindurch fliehen lassen.
Manchmal schreibe ich aber auch etwas komplett Neues, gerade da, wo noch Lücken sind: Etwa, wenn im Kirchenjahr einzelne Feste mit viel traditionellen Liedspielen, Tänzen und sinnvollen Bräuchen ausgestaltet werden können und an anderen Stationen das Seriöse und das Populäre nicht zusammenfinden wollen.
Text: ka, Bild: uk