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Was bleibt von Luther nach dem Reformationsjubiläum?

Was der Ertrag des Reformationsjubiläums 2017 ist, werden wir vermutlich erst in ein paar Jahren genauer wissen. Der Wittenberger Historiker und Theologe Benjamin Hasselhorn aber provoziert schon jetzt bewusst mit dem Titel seines Buches "Das Ende des Luthertums?" Und bot sich damit als Gesprächspartner zur Finissage der Luther-Ausstellung des Instituts für Kirchliche Zeitgeschichte des Evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen (IKZG-RE) im Institut für Stadtgeschichte Recklinghausen an der Hohenzollernstraße 12 an. Die Ausstellung war dort vom 8. Oktober 2017 bis zum 26. Januar 2018 zu sehen.
Was bleibt von Luther nach dem Reformationsjubiläum?

Blick ins Auditorium mit etwa 65 Gästen, vorne: Dr. Hans-Ulrich Foertsch (Goethe-Gesellschaft Marl), Georg Möllers (1. Beigeordneter), Bürgermeister Christoph Tesche, Superintendentin Katrin Göckenjan - Foto: Philip Prinzmeier

RECKLINGHAUSEN - In dieser Woche endete die gut besuchte Ausstellung "Luther im Visier der Bilder" im Institut für Stadtgeschichte in der Hohenzollernstraße 12. Kurator war Prof. Dr. Albrecht Geck, der ehrenamtliche Leiter des IKZG-RE. Nicht die Ausstellung aber war das Thema der Finissage am vergangenen Samstag, sondern die weiterführende Frage, welche in die Zukunft weisenden Impulse von dem Reformationsjubiläum 2017 ausgehen.

Der Leiter des Institus für Stadtgeschichte, Dr. Matthias Kordes, dankte als Gastgeber für die gute persönliche Zusammenarbeit mit Geck und dessen aktuelle Buchveröffentlichung unter dem Titel "Das 'Dreifachjubiläum' im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen. 500 Jahre Reformation - 200 Jahre Jahre Preußische Union - 110 Jahre Evangelischer Kirchenkreis Recklinghausen".

"Wenn sich etwas über Jahrhunderte erhalten hat, muss es etwas Wichtiges, Prägendes gewesen sein", würdigte Bürgermeister Christoph Tesche (CDU) die Reformation in seinem Grußwort und lobte die positive Resonanz des zurückliegenden Reformationsjubiläums in den Herzen und Köpfen der Menschen: "Sie haben alles richtig gemacht."

Im Anschluss stellte Geck den neuen Band der Reihe des IKZG-RE vor, der die Vorträge des "Dreifachjubiläums im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen" vom 27. März 2017 sowie einige kleinere Arbeiten aus dem IKZG-RE zu Luther und seiner Wirkung enthält. Darin finden sich unter anderen Dr. Matthias Kordes' Vortrag über die katholische Resilienz im kurkölnischen Vest Recklinghausen vor 500 Jahren, Prof. Jürgen Kampmanns Vortrag über die Einführung der Union im preußischen Westfalen vor 200 Jahren - der eigens aus Tübingen angereist war, um die Vorstellung des Buches mitzuerleben - und Gecks Vortrag über den Mentalitätswechsel im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen in den 1960er Jahren. Geck wies auf die große Bedeutung der Geschichte für die Identität gerade einer demokratisch und plural verfassten Gesellschaft hin. Geschichtliche Kenntnisse schulten das differenzierte Denken und Sprechen und nötigten zur eigenen Urteilsbildung. Es sei schließlich kein Zufall, dass der Angriff der AfD auf den demokratischen Rechtsstaat über die Kritik an der Erinnerungskultur laufe.

Damit eröffnete Geck als Moderator das Gespräch mit Superintendentin Katrin Göckenjan und Hasselhorn, der Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt ist und im zurückliegenden Jahr verantwortlich zeichnete für die Nationale Sonderausstellung "95 Schätze - 95 Menschen". Göckenjan akzentuierte verschiedene Aspekte des Jubiläumsprogramms im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen. Nun gelte es, die intensiven ökumenischen Erfahrungen zu vertiefen und besonders die Bedeutung der Musik für eine lebendige Kirche erlebbar zu machen und dieses als "zündender Funke in die Zukunft" zu erhalten.

In der zweiten Runde brachte Geck die Fragen der Kritiker ein: "Was gibt es denn da zu feiern?" Die Katholiken verwiesen auf die sog. Kirchenspaltung, die Protestanten beklagten Luthers schlimmen Antijudaismus, andere verwiesen auf den Bedeutungsverlust der Kirche in der Gesellschaft. Es sei leichter, "eine fremde Kultur darzustellen, als die eigene", antwortete Hasselhorn. Und es sei ein Fehler, die Schattenseiten der Reformation zu stark zu betonen. Besser sei es, "sich in positiver Weise mit dem verbindenden Erbe auseinanderzusetzen." Wichtig wäre es, das spezifisch evangelische Profil in der Theologie stärker zu betonen, gerade auch im Gottesdienst, der ihm manchmal wie "Kindergottesdienst für Erwachsene" vorkäme.

"Erst mal selbst machen!", konterte Göckenjan, betonte allerdings auch ihrerseits die Wichtigkeit der "einleuchtenden Entdeckung Luthers vom Glauben als Geschenk Gottes" und die reformatorische Forderung nach "Bildung für alle Menschen". Luthers Bereitschaft, für die eigene Überzeugung gegen alle Autorität mutig einzutreten, sei vorbildlich. Luthers Erkenntnis sei angesichts der "Selbstoptimierungsprozesse in unserer Gesellschaft, in denen sich zeigt, dass wir die Endlichkeit nicht aushalten ... topaktuell." Jedoch: "Erneuerung können wir uns nicht selber machen." Wichtig seien inspirierende Begegnungen, wo gemeinsam gelebt und gelernt wird: "Da wo's gebritzelt hat, da weht der Geist."

"Hochkritisch", so Göckenjan weiter, bleibe allerdings Luthers Verhältnis zu den Juden. Luther sei ihnen gegenüber nur "solange freundlich geblieben, wie sie bekehrungsfähig" schienen. Geck betonte, Luthers Antijudaismus sei letztlich ein ihm selbst als solcher nicht bewusster Selbstwiderspruch. Man könne nicht den Glauben als unverfügbares Werk des Heiligen Geistes bezeichnen und gleichzeitig Andersgläubige zur Bekehrung zwingen wollen. Maßgeblich bleibe folgendes Zitat aus der Adelsschrift: "Ebenso sollte man die Ketzer mit Schriften, nicht mit Feuer überwinden ... Wenn es eine Kunst wäre, mit Feuer Ketzer zu überwinden, wären die Henker die gelehrtesten Doktoren auf Erden, brauchten wir auch nicht mehr zu studieren, sondern, welcher den anderen mit Gewalt überwindet, könnte ihn verbrennen."

Hasselhorn bezeichnete die Entstehung dreier großer christlicher Bekenntnisse als Folge der Reformation als einen "großen zivilisatorischen Fortschritt". In der Situation der Pluralität könne Wahrheit nicht mehr von oben verordnet werden, sondern jeder müsse selbst darum ringen. Das sei Voraussetzung für Authentizität. In der Besinnung auf die großen Fragen nach Glaube, Freiheit, sozialer Verantwortung und der Rolle des Gewissens bleibe Luther eine Figur von zentraler Bedeutung. Das gelte unbeschadet seiner komplexen Persönlichkeitsstruktur, die man durchaus als problematisch empfinden könne.

Selbstverständlich wurde Hasselhorn auch nach der Bedeutung des Titels seines neuen Buches "Das Ende des Luthertums?" gefragt. Dieser sei "aus Frust" entstanden, so Hasselhorn, und "aus der Erfahrung, dass ich keine Lust auf Gottesdienst mehr hatte". Oft sei er mit mehr Ärger heraus- als hineingegangen. Hasselhorn forderte eine größere theologische Tiefe, die verloren gehe, wo man beispielsweise nicht mehr von der Sünde spreche. Heute heiße es: "Gott liebt dich so, wie du bist." Eigentlich müsse es aber lauten: "Gott liebt dich, obwohl du so bist, wie du bist." Ein Mitglied des Auditoriums äußerte an dieser Stelle die Ansicht, dass auf der Kanzel zu viel von Politik die Rede sei. Man höre zu viel die persönliche Meinung des Pfarrers statt das Wort Gottes.

In der letzten Phase konnten die zahlreichen Beiträge aus dem Auditorium kaum alle berücksichtigt werden. Aus ihnen ragte ein engagiert vorgetragenes Statement von Prof. em. Günter Brakelmann aus Bochum hervor. Er ging noch einmal auf Luthers komplexe Persönlichkeit ein und auf die Komplexität der Wirkungsgeschichte Luthers. Eine gerade Linie von Luthers Antijudaismus zum Antisemitismus der Nazis und zum Holocaust im "Dritten Reich" gebe es nicht, schon deshalb nicht, weil die schlimmsten anti-jüdischen Schriften Luthers innerhalb des Protestantismus sehr zurückhaltend überliefert wurden und von den Nazis seit den 1930er- Jahren für deren Propaganda erst "wiederentdeckt" werden mussten. Worauf es ankomme bei Luther sei: Die Lehre von der Rechtfertigung und, damit verbunden, von der Freiheit eines Christenmenschen.

Dieses Statement erklärte Geck zum Schlusswort der Veranstaltung. Viele Besucherinnen und Besucher nahmen nun noch einmal die Gelegenheit wahr, einen letzten Blick in die Ausstellung "Luther im Visier der Bilder" zu werfen. Der Band "Das 'Dreifachjubiläum' im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen" fand einen guten Absatz. Zwei Dutzende Exemplare wurden zum Vorzugspreis von zehn Euro verkauft. GH / AG