„In dieser Kirche habe ich schwimmen gelernt“
Der Pfarrer der Evangelischen Gemeinde St. Petersburg, Matthias Zierold, freut sich über die Gäste aus dem Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen.
KIRCHENKREIS – „In dieser Kirche habe ich schwimmen gelernt.“ Die 45 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Studienreise des Schulreferates des Evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen staunten in St. Petersburg nicht schlecht über diese Bemerkung einer russischen Dame vor der St. Petri Kirche. Nach der Oktoberrevolution wurde die größte lutherische Kirche Russlands mit 3.000 Sitzplätzen 1937 vom stalinistischen Terror endgültig entweiht, Pastor Paul Reichert und sein Sohn ermordet und die Gemeinde aufgelöst. Nachdem das Kirchengebäude über 20 Jahre als Lagerraum diente, ließ es Staats- und Parteichef Nikita Chrustschow 1962 zum Schwimmbad und Leistungszentrum mit Sprungturm, Duschen und Zuschauertribüne umbauen.
Heute ist die Stadtkirche wieder das lebendige Zentrum der 250 Gemeindeglieder, von denen viele mit ihrem Pfarrer Matthias Zierold ein aktives Gemeindeleben gestalten und in verschiedenen diakonischen Projekten engagiert sind. Dem Gebäude ist jedoch seine bewegte Vergangenheit anzusehen. Aus statischen Gründen konnte das Schwimmbecken nicht entfernt werden ohne die Kirche zu gefährden. Jetzt ist die Kirche ca. zehn Meter niedriger, da erst auf dem Beckenrand der neue Boden eingezogen werden konnte. Zudem bildet die ehemalige Zuschauertribüne nun die Empore. Im Raum unter dem Beckenboden bewunderten die Besucher aus unserem Kirchenkreis Kunstobjekte und Wandmalereien des bekannten amerikanischen Künstlers Matt Lamb. „Das sind unsere Katakomben“ erklärt Zierold nachdenklich, „sie erinnern an die Zeit der Verfolgung unserer Kirche“.
Auf dem Weg zum Bus überquert die Besuchergruppe direkt vor der Kirche den Newski-Prospekt, eine sehr belebte Straße mit luxuriösen Geschäften, amerikanischen Fast-Food-Ketten, teuren Autos und vielen gut gekleideten vorwiegend jungen Leuten. Nicht nur das Christentum, auch ein gewisser Wohlstand ist in diese wunderschöne Stadt zurückgekehrt.
Pfarrer Matthias Zierold erläutert den Besuchern mit Hinweis auf die Zuschauerränge, dass die evangelische St. Petri-Kirche bis 1992 als Schwimmbad genutzt wurde.
Mit dem Schiff ging die nächsten vier Tage die Reise nach Moskau weiter. Nach der Stadtbesichtigung, Fahrten durch die prachtvollen Metrostationen und einem Besuch des Kremls und des neuen Jungfrauenklosters kam der Pfarrer der Moskauer evangelischen Gemeinde, Fridtjow Amling, zu einem Gespräch auf das in der ehemaligen DDR gebaute Fluss-Kreuzfahrtschiff. Anschaulich führte er in die Orthodoxie ein, beschrieb die zarten ökumenischen Bemühungen zwischen der Russisch-orthodoxen und der Evangelischen Kirche und zeigte sich verwundert über die fast ausschließlich negative Berichterstattung der deutschen Presse über Russland. Die sozialen und politischen Bemühungen dieses riesigen Landes sollten seiner Meinung nach auch im Westen zur Kenntnis genommen und entsprechen gewürdigt werden.
Der Identitätsfindungsprozess des russischen Volkes ist am „Roten Platz“ augenscheinlich: Das zumeist von Touristen besuchte Lenin-Mausoleum liegt direkt dem, wegen der hohen Preise weitgehend von Russen verlassenem, Luxuskaufhaus GUM gegenüber. Ob Lenin das wohl zu Lebzeiten für möglich gehalten hätte? Die meisten Moskauer dagegen trifft man andächtig in der kürzlich aufgebauten orthodoxen Kirche gegenüber der Kremlmauer wieder.
So hatte vielleicht auch der Geburtstagskanon „Viel Glück und viel Segen“, den die Gruppe einer Teilnehmerin um Mitternacht auf dem „Roten Platz“ sang, symbolischen Charakter.
Text und Fotos: HSch