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„Angst überwinden – Brücken bauen“ - Pfarrkonferenz zur „Woche der Brüderlichkeit“ am 5. Februar 2018

KIRCHENKREIS Die seit 1952 stets im März veranstaltete „Woche der Brüderlichkeit“ der Gesellschaften für Christlich- Jüdische Zusammenarbeit wird in diesem Jahr unter dem Leitmotiv Jahresthema „Angst überwinden – Brücken bauen“ in Recklinghausen stattfinden. Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Exkursionen Studienreisen, Theater, Vorträge, Filme und anderes finden sich in dem umfangreichen Rahmenprogramm. Aus diesem Anlass hatte die Pfarrkonferenz im Ev. Kirchenkreis Recklinghausen die 1. Vorsitzende der jüdischen Gemeinde aus Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach, und die Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Kreis Recklinghausen, Gerda E.H. Koch, als Gäste durch Pfarrer Roland Wanke (Marl) als kreiskirchlicher Beauftragter für den christlich-jüdischen Dialog eingeladen.
„Angst überwinden – Brücken bauen“ - Pfarrkonferenz zur „Woche der Brüderlichkeit“ am 5. Februar 2018

Judith Neuwald-Tasbach zu Gast auf der Pfarrkonferenz in Recklinghausen

 Judith Neuwald-Tasbach wuchs in einer traditionell jüdischen Familie auf, die zahlreiche Opfer des nationalsozialistischen Holocausts zu beklagen hat; 24 von 26 Angehörigen der Familie Neuwald wurden durch die Nazis ermordet. 

Im Zuge des Neubaus der Synagoge in Gelsenkirchen, die am 1. Februar 2007 öffnete, wurde sie als Vorsitzende der dortigen Gemeinde gewählt, mittlerweile in die dritte Amtsperiode. „Wir haben unglaublich viele Besucher gehabt. Die Synagoge findet unglaublich viel Zustimmung. In den Tagen, in denen wir zum „Tag der offenen Tür“ geöffnet hatten, zählten wir 12-15.000 Besucher. Wir haben Führungen bis zum Jahresende gebucht“, berichtet sie erfreut über die große positive Resonanz.
„Anfang der achtziger begann die Zuwanderung der jüdischen Menschen. Gelsenkirchen wuchs in der Zeit rasant an. In Spitzenzeiten hatten wir 500 Mitglieder mit sehr kleinen Räumlichkeiten“, schaut sie zurück. Die aktuelle Situation der jüdische Gemeinde in Gelsenkirchen, die anfangs mit 30 Leuten Gemeinde nach der Shoah im Jahr 1958 neu gegründet wurde, entwickelt sich aus ihrer Sicht gegenwärtig sehr gut. Sie sieht ihre Gemeinde im Umgang mit den eigenen Glaubenstraditionen im „Mainstream der 106 jüdischen Gemeinden in Deutschland. Ich bin ganz glücklich, dass sich diese Vielfalt der jüdischen Gemeinden wieder entwickelt“, sagt sie. Zur Gemeinde gehören mehrere Jugendgruppen, drei Klassen mit Religionsunterricht, ein Männerkreis, ein Chor, Kindergruppen, die 350 Mitglieder freuen sich über einen eigenen Rabbiner.
Dennoch seien aktuell wieder abgründige, antisemitische Erfahrungen zu machen: „Aber es gibt sie wieder, die neuen und die alten Nazis; es gibt auch den muslimischen Antisemitismus.
Es gibt vor allem diejenigen, die schweigen. Das ist eine ganz schreckliche Situation in unserer Gesellschaft. Es gibt wieder Dinge, denen wir in aller Deutlichkeit entgegentreten müssen“, betont Judith Neuwald-Tasbach.
In allen Städten in Deutschland, wo sich Synagogen befinden, seien solche Vorfälle vorgefallen.
Oft wollten jüdische Kinder nicht, dass bekannt gegeben werde, dass sie jüdisch seien, wenn dies bei der Notenvergabe im Zeugnis stehe. Viele trauten sich nicht, sich mit Symbolen zum Judentum zu bekennen und lebten in Angst. Den Pfarrerinnen und Pfarrern schildert sie eindrücklich von ihren Erfahrungen einer privaten Tischrunde, in der ein Gesprächsteilnehmer sich offen antisemitisch äußerte, die anderen Anwesenden jedoch dazu geschwiegen hätten.
„Wir können nicht verleugnen, dass Hass und Respektlosigkeit zugenommen haben. Unsere Kinder sollen nicht in einem Land leben, in denen Menschen schlechter behandelt werden, weil sie eine andere Religion haben. Man muss lernen, diesen Anfeindungen entgegentreten. Dass man Unrecht sieht und schweigt, das ist das Schlimme“, hält sie fest.  Wichtig sei, wie juristisch mit alten Nazitätern umgegangen würde. „Für uns muss Recht gesprochen werden, Mich treibt an, dass wir Recht sprechen müssen“, sagt sie. In der Wahrnehmung der eigenenn Geschichte plädiert sie klar für Gedenkstättenbesuche mit Schülerinnen und Schülern. „Da haben sie die Verzweiflung des Ortes verstanden. Ich glaube, dass es eine gute Sache ist, wenn Schüler einmal im Leben dorthin fahren. Die Menschen haben immer noch die Stereotypen aus dem Dritten Reich im Kopf. Vielleicht muss man an schulischen Konzepten arbeiten, um ein friedliches Miteinander zu fördern. Ich mache mir auch Sorgen um Holland, Polen, Europa, überall, wo Rechte in Parlamenten sitzen. Was ist das für eine Erfahrung, dass Gottesdienste immer mit Polizeischutz begleitet werden müssen? Es ist eigentlich schrecklich, dass es so weit kommt“, beklagt sie in aller Deutlichkeit.
 
In der letzten Zeit habe ihre Gemeinde neuerdings auch Erfahrungen mit muslimischem Antisemitismus gemacht: „Uns haben zwei Mal muslimische Antisemiten die Scheiben eingeworfen, die dann von der Polizei gefasst wurden.“ Politisch zeigten sich neuerdings wieder aufkeimende, rechte Strömungen: „Wir haben im Rat der Stadt auch Rechte sitzen.
Wenn Menschen Angst haben, als Juden zu leben, dann ist unsere Demokratie in Gefahr“, so Neuwald-Tasbach. Deshalb seien Bildungsanstrengungen enorm wichtig: „Das Problem ist, dass die Kinder nicht mehr genau wissen, woher sie kommen, ihren Ursprung nicht kennen. Bildung, religiöses Verständnis für einander: Das ist ein Auftrag auch an die Eltern, die ihren Kindern Bildung vermitteln müssen“, fordert sie. 
Für ein solches Bildungsanliegen bietet die diesjährige „Woche der Brüderlichkeit“ zahlreiche Anknüpfungspunkte:
 
„Brücken bauen, damit Ängste überwunden werden.“
Gerda Koch, die Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Kreis Recklinghausen, stellte der Pfarrkonferenz die anstehende „Woche der Brüderlichkeit“ vor. Diese ist vom 11. - 18. März 2018 nicht nur in Recklinghausen, sondern auch in anderen Städten des Kreisgebietes geplant. Mit den Angeboten sei das Anliegen verbunden, Antworten zu geben auf Fragen wie, „wo haben wir Gemeinsames, wo sind wir gefragt, solidarisch zu sein? Wo stehen wir an der Seite der Gemeinden und schweigen nicht?“, sagt Gerda Koch. Das Motto „Angst überwinden, Brücken bauen“ sei als diesjähriges Jahresthema gewählt worden, das in zahlreichen Ausstellungen, Exkursionen, Feiern, Gedenken, Grußworten, Lesungen, Konzerten, Seminaren, Theaterbeiträgen, Vorträgen entfaltet werde. Online finden sich in Ergänzung zur gedruckten Programmfassung weitere Hinweise
 
 
Gerda E.H. Koch, Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Kreis Recklinghausen
 
Die Eröffnung mit einer jüdisch-christlichen Gemeinschaftsfeier am 10.3.2018 um 19.30 Uhr in der Christuskirche, Limperstr. 13, Recklinghausen, sei aus Sicherheitsgründen nur mit Einlasskarten möglich. Daher sei eine schriftliche Anmeldung bei Interesse zuvor erforderlich. Des Weiteren hob sie die „einzigartige Ausstellung“ zu „Justiz und Nationalsozialismus“ in der Justizakademie des Landes NRW, August-Schmidt-Ring 20, 45665 Recklinghausen am 10. März 2018 ab 11.00 Uhr hervor.
Am  11. März 2018 werden im Rahmen der zentralen Eröffnungsfeier der „Woche der Brüderlichkeit“ 2018 Armin Laschet, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Cay Süberkrüb, Landrat des Kreises Recklinghausen, Christoph Tesche, Bürgermeister der Stadt Recklinghausen, und Dr. Margaretha Hackermeier, Katholische Präsidentin des Deutschen Koordinierungsrates, erwartet.  
Im Rahmen der zentralen Eröffnungsfeier wird die Buber-Rosenzweig-Medaille an Persönlichkeiten und/oder Organisationen verliehen, die sich im christlich-jüdischen Dialog außerordentliche Verdienste erworben haben. Die Buber-Rosenzweig-Medaille wird in diesem Jahr verliehen an den Musiker Peter Maffay. 
„Peter Maffay hat im musikalischen Bereich viel für die Verständigung getan; er ist in  einer  Stiftung aktiv und kümmert sich um benachteiligte Kinder, deren Programm hat Jugendliche aus Israel und Palästina zusammen gebracht; Peter Maffay ist aktiv bei Rock gegen Rechts“, erläutert Gerda Koch.
 
Am Samstag, dem 10. März 2018, um 15.00 Uhr wird in der Aula des Marie Curie-Gymnasiums, Görresstr. 5, 45657 Recklinghausen die Kinderoper mit dem Titel „Brundibár“ in 2 Akten von Hans Krása (Komponist) und Adolf Hoffmeister (Librettist) aufgeführt.  Dazu wird ein Gespräch mit der Zeitzeugin Greta Klingsberg stattfinden. Die Uraufführung der 1938 komponierten Kinderoper Brundibár erfolgte 1941 in Prag im jüdischen Kinderheim. Die Kinderoper wird in Kooperation mit der  Musikschule Recklinghausen, dem Förderverein der Musikschule Recklinghausen mit Unterstützung durch die Förderung der Stiftung der Sparda-Bank-West umgesetzt.
 
Der Koordinierungsrat gibt diesmal ein umfangreiches Themenheft heraus, das mit kleinen Unterrichtsbausteinen von Lehrerinnen und Lehrer angereichert wurde. 
 
Text: hh/Bild: uka
06.02.2018