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Kundgebung in RECKLINGHAUSEN: Solidarität mit den Menschen in Japan

Kundgebung am Samstag, 19. März, 10.30 Uhr auf dem Altstadtmarkt Recklinghausen. Wir dokumentieren die Rede von Superintendent Peter Burkowski
Kundgebung in RECKLINGHAUSEN: Solidarität mit den Menschen in Japan

Zwei Frauen aus der Hertener Gemeinde malten zur Reaktorkatastrophe in Japan ein eindrückliches Bild.


Das Leiden der Menschen in Japan erfüllen uns mit großer Trauer. Grauenvoll sind die Folgen des Erdbebens und des Tsunamis, unabsehbar die Folgen der atomaren Katastrophe. Die Verletzlichkeit des menschlichen Lebens und die Risiken der Atomenergie zeigen sich auf furchtbare Weise.

Wir denken an die Menschen, die Angehörige verloren haben und an alle, deren Gesundheit und Leben gefährdet ist. Wir fühlen und trauern mit ihnen, unsere Gebete gelten den Opfern und ihren Angehörigen, den Leidtragenden und denen, die schwere Verantwortung tragen für den Schutz der Vielen.

"Wir brauchen einen grundlegend anderen Umgang mit den Risiken der Kernenergietechnik", so Alfred Buß, der Präses der westfälischen Landeskirche. Die Vorkommnisse in den japanischen Atomkraftwerken zeigen, dass diese Energieform niemals sicher sein kann und verheerende Gefahren für Menschen und Umwelt mit sich bringt. Die Nutzung der Atomenergie ist mit dem uns gegebenen Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren, nicht zu vereinbaren (Landessynode vor 25 Jahren zur Atomkatastrophe von Tschernobyl).

Gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, dem BUND und attac rufen wir zur Kundgebung am Samstag, dem 19. März 2011, um 10.30 Uhr auf. Die Redner werden sein:

·         Jochen Glenneschuster, Attac,

·         Peter Burkowski, Superintendent des Ev. Kirchenkreis Recklinghausen,

·         Dr. Michael Harengerd, Sprecher des BUND im Regierungsbezirk Münster,

·         Dr. Josef Hülsdünker, Vorsitzender des DGB Emscher‑Lippe

Wir bitten Sie, dem gemeinsamen Aufruf zu folgen. Verteilen sie ihn in Ihren Gemeinden und Einrichtungen, in ihren Gruppen und Kreisen, verlesen sie ihn von Ihren Kanzeln und Pulten.

Darum rufen wir die evangelischen Christen unserer Stadt, die Mitglieder unserer Gemeinden und Einrichtungen und mit ihnen alle Bürgerinnen und Bürger in Recklinghausen und Umgebung dazu auf, unsere Solidarität mit den Menschen in Japan kund zu tun.

GEMEINSAM FORDERN WIR: ATOMAUSSTIEG JETZT!

Freitag, den 18. März 2011, fand um 9.30 h ein Glockengeläut und eine Schweigeminute in ganz Nordrhein-Westfalen statt.

 

Im Nachgang zur der Kundgebung stellen wir die Rede des Superintenden Peter Burkowski hiermit online:

 

Rede von Superintendent Peter Burkowski am 19. März 2011 – Altstadtmarkt Recklinghausen

Aktiv werden gegen Atomenergie – Kundgebung der Regionalgruppe „attac“ Recklinghausen

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
ich danke sehr herzlich für die Einladung zu dieser Veranstaltung. Ich spreche hier gern, weil christlicher Glaube in der Verantwortung für diese Welt konkret wird.

Sehr herzlich grüße ich von Propst Jürgen Quante, der sehr engagiert in seiner früheren Gemeinde in Ahaus gegen das Zwischenlager und die Castor-Transporte gestanden hat. Wie sagte er noch gestern zur atomaren Entsorgungs-Problematik: Wir lassen die Badewanne voll laufen und haben keinen Abfluss.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Am Anfang steht unser Mitgefühl und unser Gebet
Wir sehen die unglaublichen Bilder einer fast unvorstellbaren Katastrophe. Wir sehen die Bilder von Verwüstungen und zerstörten Häusern, von schwankenden Hochhäusern und von unvorstellbaren Wassermassen, von einem Schiff, das auf einem Haus liegt – weit im Landesinnern.

Viele, viel zu viele Tote sind zu beklagen; gestern waren es 6.500 und 11.000 Menschen sind noch vermisst. Menschen suchen verzweifelt ihre Eltern, ihre Geschwister, ihre Kinder. Mehrere hunderttausend Menschen sind ohne Dach über dem Kopf. Und in Japan ist es Winter.

 
Am Anfang, meine Damen und Herren, steht unser Mitgefühl.

Und für Christinnen und Christen steht am Anfang das Gebet für die Menschen in Japan, für alle Suchenden und Trauernden – ebenso für alle Verantwortlichen und für alle Helferinnen und Helfer.


Die Pfarrerin der deutschsprachigen Gemeinde in Japan Elisabeth Hübler-Umermoto schreibt uns:

„Ja, man ist hier mit Durchhalten beschäftigt. An vielen Orten sind jetzt große Räummaschinen zu sehen, die Aufräumarbeiten haben begonnen. Traurige erste Pflicht ist dabei das Auffinden der Toten unter all den unglaublichen Trümmern. …

Wir sind hier sehr mit der Anspannung beschäftigt, mitzubekommen, was jetzt zu tun ist, Entscheidungen zu treffen, Gottesdienste vorzubereiten, Telefonate zu führen, alle zu informieren. Das Entsetzen ist so groß und so nah, dass ich es nicht fühlen kann. Es passt in eine Seele nicht hinein.“

„Es passt in eine Seele nicht hinein“

Was wir sehen, was wir hören und was wir beten – all das drängt sich uns auf und wir spüren, wie verletzbar wir Menschen sind; wir spüren, wie dünn die Oberfläche unserer Sicherheit und unserer Selbstsicherheit ist. Von jetzt auf gleich kann alles anders sein. Ja, es passt in eine Seele nicht hinein, wenn die Finsternis der Welt das Leben verdunkelt, wenn dir der Boden unter den Füßen – im wahrsten Sinn es Wortes – wegbricht. Ich denke an die Worte aus der hebräischen Bibel, an den alten Psalm 103:

Gedenke daran, was für ein Gebilde wir sind. Wir sind wie Staub. Wir sind wie Gras und alle Herrlichkeit ist wie die Blume des Grases. Das Gras verdorrt und die Blume vergeht… und wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da.

Ja, unser Leben ist zerbrechlich, das spüren wir. Aber wir verdrängen es so gern, wir schieben diese Verletzlichkeit und Gefährdung beiseite und meinen stark und sicher zu leben.

Aber nun wankt der Boden unter unseren Füßen; die Welt gerät ins Wanken…. Wo ist Gott?  Wie tief ist die Dunkelheit und die Verzweiflung, in die wir schauen. Viele Fragen bewegen unsere Gedanken und Gespräche. Die Klage der Psalmen schenkt uns Worte, mit den Worten der Alten fragen wir nach der Gegenwart Gottes. Und wir erinnern uns daran, dass die Frage am Kreuz Jesu hängen geblieben ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen. So hat er geschrieen in der Tiefe des Leidens und der Ohnmacht. Und so schreien Menschen bis heute. Aber sie schreien nicht ins Leere. Ihr Ruf hat eine Adresse und eine Hoffnung, die über diese Welt, über unser Denken und Begreifen hinaus weist.

Ja: „Es passt in eine Seele nicht hinein“

 

Wir stoßen an unsere Grenzen – an die Grenzen des Machbaren

Im Atomkraftwerk Fukushima ist passiert, was nach menschlichem Ermessen nicht hätte passieren dürfen. Die Naturkatastrophe hat eine weitere Katastrophe ausgelöst: die Freisetzung von Radioaktivität in unkontrollierbarer Weise. Bis heute weiß niemand, wie weit es noch gehen wird. Wiederum spüren wir Angst und Ohnmacht.

Radioaktivität ist zerstörerisch. Man sieht sie nicht, man schmeckt sie nicht – und doch ist sie real, wirklich da – und kann auch in Tausenden von Jahren noch Leben gefährden. Radioaktivität ist zerstörerisch. Man kann sie weder lokal noch zeitlich eingrenzen oder beherrschen. Im Gegensatz zu anderen Unfällen, sind radioaktive Katastrophen nicht irgendwann vorbei und kaum zeitlich begrenzt. Sie wirken viel viel weiter: räumlich und zeitlich.

Wir erinnern uns und sehen wieder die Bilder von Tschernobyl vor 25 Jahren. Ich erinnere mich gut an einen schönen – einen der ersten Frühlingstage – im April 1986. Und ich erinnere mich daran, wie sehr wir uns damals um unsere Kinder gesorgt haben.

70.000 Menschen starben unmittelbar oder an den Spätfolgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Tausende von Menschen sind chronisch erkrankt oder tragen die Erbgutschäden weiter .

Heute sind wir wieder aufgerüttelt. Wieder schauen wir gebannt auf den Bildschirm und warten auf gute Nachrichten.

Und wir merken: Wir sind auf dem falschen Weg. Wir müssen umkehren! Wir müssen umkehren, weil wir die Risiken nicht beherrschen können. Wir müssen umkehren, denn Atomenergie ist keine Energie der Zukunft.

 Und warum? Was sind die Gründe, dieses schon lange zu fordern?

Christinnen und Christen glauben, dass Gott die Welt geschaffen hat und dass er sie erhält.

Wir glauben, dass Gott das Leben will. Gott will, dass Menschen gut leben. Wir glauben, dass er uns diese Schöpfung anvertraut hat, damit wir sie „bebauen und bewahren“ (1. Mose 2,15). Diese Erde ist nicht von uns selbst gemacht. Wir haben sie nicht im Griff und wir haben sie auch nicht selbst entworfen. Sie ist einmalig und unbezahlbar. Diese Erde ist uns geschenkt, uns gegeben: Geschenk und Gabe, uns anvertraut, sie zu bewahren für die Generationen, die uns folgen werden. Wir haben sie nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern (und Enkelkindern) geliehen.

Meine Damen und Herren,

ich glaube, dass jedes Leben auf dieser Welt von Gott gewollt ist. Gott hat mich, er hat Sie, er hat uns in diese Welt gestellt – mitten hinein – so wie wir sind: mit einem freien Willen, zu entscheiden; mit der Möglichkeit zu tun und zu lassen. Und auch mit der Möglichkeit, Fehler zu machen. Ja, auch das macht mein Leben aus. Nur so bin ich Mensch. Nur so bin ich ein menschliches Lebewesen, das auf andere Menschen angewiesen ist. Ich brauche die Verständigung, die Veränderung, die Korrektur. Ich brauche Leitplanken, Regeln und Gebote – ich brauche das, was in meinem Leben gilt und etwas wert ist… Es gehört zum Menschen, dass er Fehler machen darf. Sonst wäre er eine berechenbare Maschine. Aber der Mensch ist nicht so. Und das ist auch gut so.

Und weil der Mensch so ist, darum ist er auch nicht in der Lage, fehlerlos zu sein und für absolute Sicherheit zu sorgen. Und das ist der tiefe Grund dafür, warum wir keiner Technologie zustimmen können, die genau das voraus setzt: Man darf keinen Fehler machen, man darf nichts übersehen. Nein! So sind wir Menschen nicht gemacht.

Eine Technik, die eine 100 %ige Sicherheit braucht, damit Katastrophen von solch unglaublichen Dimensionen (bis in viele Generationen nach uns hinein) nicht stattfinden, eine solche Technik ist aus unserer Sicht als Theologen nicht menschengemäß. So sind wir nicht gemacht.

Wir Menschen müssen unser Maß (wieder) finden: die Grenzen des Wachstums und die Grenzen des Machbaren.

Der Mythos, dass alles besser wird durch grenzenloses Wachstum, steht für uns genau so in Frage wie der Sicherheits-Mythos bei der Kernenergie. Worauf vertrauen Menschen eigentlich, wenn sie sich auf 100prozentige Sicherheitsversprechen verlassen?

Woran glauben Menschen eigentlich, wenn dem grenzenlosen wirtschaftlichen Wachstum alles andere untergeordnet werden muss?

Nein, es geht um ein anderes Leben,

um eine umweltgemäße und menschengemäße Energiepolitik, um eine Reduktion des Energieverbrauchs, es geht um Verlangsamung und Bescheidenheit. Auch die Natur kennt kein beständiges Wachstum, kein Wachstum ohne Ende.

Das ist der Grund, warum wir in den Kirchen – schon lange – sagen, dass wir Atomkraftwerke nicht für menschengerecht halten. Denn: Du darfst als Mensch nur solche Risiken eingehen, die Du auch tragen kannst. Heute wissen wir, dass wir unsere Grenzen erreicht und überschritten haben. Es wird Zeit, umzukehren.

Robert Jungk hat einmal gesagt: Es gilt nicht mehr der Satz: „Denn sie wissen nicht, was sie tun.“.  Heute muss es heißen: „Denn sie tun nicht, was sie wissen.“

Darum ist „Kernenergie (..)  ein Zeichen menschlicher Verantwortungslosigkeit. Wir können keine Verantwortung für etwas übernehmen, was kein Mensch beherrscht… Das Unglück von Fukoshima führt uns die katastrophale Überheblichkeit vor Augen, die menschliche Selbstüberschätzung, die davon ausging, das tödliche Risiko könne kontrolliert werden.“[1]

Es geht um Verantwortung für viele viele Menschen und für viele viele Jahrhunderte. Und darum taugt dieses Thema auch nicht für tagesaktuelle Wahlkampfstrategien, sondern ist eine grundlegende gesellschaftliche und in diesem Sinne politische Frage. Hier geht es nicht um tagesaktuelle Umfrage-Ergebnisse, sondern um eine grundlegende Kehrtwende für das Leben.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
ich danke Ihnen dafür, dass Sie heute hierher gekommen sind. Wir kommen oft zusammen in diesen Tagen. Menschen treffen sich zu Gesprächen und Gebeten. Dabei habe ich in den letzten Tagen oft an ein Wort von Dietrich Bonhoeffer denken müssen: „Ich glaube, dass Gott auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“ Genau darum geht es jetzt: Beten und verantwortlich handeln!

Mit einem Gebet aus Tokyo möchte ich schließen:

„An Dir halten wir fest, Gott, gerade wenn uns der Boden unter den Füßen wegrutscht.

Auf Dich hoffen wir, in allem, was wir erleben, ertragen und durchmachen müssen.

Begleite uns, dass wir nicht verzweifeln.

Hilf uns, aufeinander zu achten, richtige Entscheidungen zu treffen und zu helfen, wo wir können. Amen.“

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.



[1] Wort vom Präses Dr. Alfred Buß am 12.03.2011 „Wir tragen Verantwortung für diese Erde.“