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Die Krise verstehen

RECKLINGHAUSEN Ulrike Herrmann zeichnet den Weg der Eurokrise nach und malt ein düsteres Bild für die Zukunft - Die zahlreichen Besucherinnen und Besucher staunten nicht schlecht, in welchem atemberaubenden Tempo die Referentin Ulrike Herrmann (TAZ, Berlin) den Hergang der aktuellen Wirtschaftkrise im Euroraum skizzierte. Sie bewegte sich dazu in vier Themenfeldern, die mit der „Überschuldungkrise“ eröffnet wurden.
Die Krise verstehen

Ulrike Herrmann (TAZ, Berlin)

Wie in sämtlichen Krisen zuvor sei es 2008 auf den Finanzmärkten zu einer Kreditblase gekommen. Griechenland habe, bevor es in die Eurozone aufgenommen wurde, auf den Kapitalmärkten viel höhere Zinsen zu zahlen gehabt, als danach. Nach dem sog. 53-prozentigen Schuldenschnitt hätten die internationalen Banken auf 73 Prozent ihres in Griechenland eingesetzten Kapitals verzichtet, was jedoch am Ende nicht reichen werde, so Herrmann. Deutschland habe sich in summa mit 50 Mrd. Euro am Schuldenschnitt beteiligt, was dem Volumen der staatlichen Ausfälle durch die rot-grüne Steuerreform entspräche. Im Übrigen müsse man bei aller Aufregung wissen, dass die Wirtschaftskraft Griechenlands mit seinen 10 Mio. Einwohner lediglich der des Bundeslandes Hessen vergleichbar sei.


Im zweiten Themenfeld erklärte Ulrike Herrmann, „die Eurozone ist falsch konstruiert“. Man habe im Euroraum die eine Währung, den Euro, könne dort aber 17 verschiedene Staatsanleihen kaufen. Dies mache es möglich, einzelne Anlagen zu meiden. Dezidiert plädierte sie deshalb für die Einführung sog. Eurobonds. Damit seien Investoren gezwungen, ohne Spezifizierung auf einzelne Staaten in der Eurozone anzulegen, die immerhin die wirtschaftliche Größe des US-Raumes habe. Zudem plädierte sich dafür, die Europäische Zentralbank (EZB) müsse direkt, ohne Umwege über Banken Staatschuldentitel kaufen können. Dies sei grundsätzlich kein Problem, wie man an Italien und Japan sehen könne. In Italien lägen mehr als 50 Prozent der Schulden bei der eigenen Bevölkerung, in Japan seien es die gesamten Staatschulden. 
Als dritten Focus beschrieb Herrmann die „Leistungsbilanzkrise“, die in Deutschland damit einherginge, dass „die Hälfte der deutschen Banken marode“ seien. Daher sei ihre Krise auf „permanente Exportüberschüsse“ zurückzuführen, denn sie hätten denen Geld geliehen, die in Deutschland bestellen wollten. Die Entwicklung führe zu Verzerrungen: „Wenn wir Überschüsse machen, machen andere Defizite“, unterstrich sie. Um die Exporte zu ermöglichen, sei in Deutschland das Lohnniveau seit 2000 gefallen. In den anderen Eurostaaten sei es dagegen im gleichen Zeitraum gestiegen.
 

Für die Zukunft zeichnete Herrmann als viertes Element ihres Vortrags ein düsteres Szenario unter dem abschließenden Stichwort „Deflationskrise“: „Überall wird gespart. Das führt zu Rezession“, so Herrmann. In Italien schrumpfe die Wirtschaft bereits derzeit um drei Prozent. „Die Krise wird uns 2012 in voller Härte erreichen. Wenn der Euro in fünf Jahren noch existiert, wäre das ein ganz großes Wunder“, spitzte sie zu. Falls das Szenario einträte, dass der Euro ‚crasht‘, lägen die Kosten für Deutschland bei 1 Billion Euro. Die Folgen wären das Absinken der Exporte und Löhne, der Zusammenbruch der Unternehmen, Banken und Staaten. „Deshalb ist es ein großes Interesse von Deutschland, den Euro zu retten. Man kann die Schuldenkrise nur lösen, wenn es Wachstum gibt“, folgerte Herrmann. Für die Banken empfahl sie, eine 20-prozentige Eigenkapitaldeckung einzuführen und damit eine Sicherung vorzuschreiben.
 

In der anschließenden Diskussion stieß Ulrike Herrmann kaum auf fundamentalen Widerspruch. Einzig deutliche Zweifel äußerten sich aus ökologischer Perspektive an der Empfehlung, weiterhin einzig auf Wachstum als Lösungsmittel zu setzen.


Der Vortrag von Ulrike Herrmann war der Auftakt der dreiteiligen Kooperationsveranstaltungen zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise; dazu hatten attac-Recklinghausen, die Evangelische Altstadtgemeinde, die Evangelische Akademie Recklinghausen und der Evangelische Kirchenkreis Recklinghausen eingeladen. Der nächste Vortragende wird Prof. Claus Peter Ortlieb aus Hamburg am 24. Mai 2012 sein, wo es um die ‚Systemischen Ursachen der aktuellen Wirtschaftskrise‘ gehen soll.

Text/Bild: hh