Ein Interview mit Superintendent Peter Burkowski
F: Was muss ein guter Superintendent können?
PB: Ich glaube, dass ein paar Dinge mir wichtig geworden sind. Das eine ist, mit vielen Menschen regelmäßig im Gespräch zu bleiben, unter anderem auch darüber, wie verstehen wir denn eigentlich dieses leitende Amt, das zwischen Landeskirche und Gemeinden existiert. Da ist die Erwartung, gut wahrzunehmen, was in den Gemeinden geschieht, was in den kreiskirchlichen Diensten geschieht. Da ist die Erwartung von Unterstützung, da ist auch die Erwartung von personeller Begleitung gewesen. So habe ich mit vielen Gesprächen angefangen. Und das hat sich auch in der Zwischenzeit bewährt, wenn es irgendwelche Situation gibt, die zu klären sind. Erst einmal miteinander sprechen.
Wenn ich das heute bedenke, was braucht es eigentlich in diesem Amt, was ist kennzeichnend für ein Superintendentenamt, dann glaube ich, muss man es noch ein bisschen anders beschreiben. Es braucht, glaube ich, viele Kompetenzen. Man muss sich schon relativ gut in der evangelischen Kirche auskennen. Man muss schon wissen, wie eine Gemeinde gut funktionieren könnte, wie ein Kirchenkreis, wie das alles zusammenhängt. Was in der Diakonie geschieht, ist noch einmal ein ganz anderes Feld, weil wir da mit den Finanzierungen und den Erwartungen im öffentlichen Bereich unterwegs sind. Man muss schon wissen, wie evangelische Kirche im Kern funktioniert und wie eine Organisation funktioniert. Das zweite ist, das habe ich aus meinem Pastorsein mitgekriegt, man muss auch so etwas wie eine Freude am Verkündigen haben. Man muss auch eine Freude haben, wenn wir als Christen in die Bibel schauen und gleichzeitig in unsere Zeit und in unsere Kirche. Da wird auch zu Recht erwartet, dass ein leitendes Amt, ein Superintendentenamt dazu Aussagen trifft, schriftlich, mündlich, Vorträge. Und im Kern ist es jedoch das vom Anfang, viel Kommunikation.
F: Was sollte ein Superintendent /eine Superintendentin vermeiden?
PB: Man könnte humorvoll sagen, die Superintendententätigkeit findet überwiegend sitzend statt. Ich glaube, dass sich viele Dinge, durch viele kleine Besprechungen klären lassen. Ich glaube, dass ein ein Superintendent , eine Superintendentin ein bisschen so etwas sein sollte, wie Vorandenkerin und Vorandenker, um dieses Wort ‚Visionär‘ zu vermeiden. Er oder sie sollte schon eine Idee davon haben, wohin geht’s denn, was ist in den nächsten Jahren dran, wohin gehen die Entwicklungen. Ich glaube, dass ein Superintendent die Welt deuten sollte, die Zeit, die Welt, die eigene Kirche im Licht des Evangeliums. Was bedeutet frohe Botschaft, Angenommen sein von Gott in dieser Zeit, an diesem Ort, in dieser Kirche. Ich glaube, dass ein Superintendent /eine Superintendentin auch Gelassenheit haben sollte. Das hat mich nicht immer ausgezeichnet. Ich bin oft ungeduldig geworden. Aber man braucht auch für vieles einen langen Atem, Geduld und auch das Vertrauen darauf, dass Dinge nicht nur an uns liegen.
F: … und wie sieht die No-Go-Area aus?
PB: Das ist ja die Frage, was würdest du anders machen, wenn du es noch mal machen würdest. Im Rückblick würde ich zumindest versuchen, in den wichtigen Sachen präsent zu sein. Ich würde versuchen, weniger unnützes Zeug zu machen, also das, was vergeblich ist. Vielleicht auch noch mal mehr zu delegieren, nicht so viel selbst zu machen. Ich will mal ein Beispiel sagen. Am Anfang habe ich ganz schnell, wenn es Fragen aus den Gemeinden gab, gesagt, ja ich komme und ich bespreche das mit euch. Und zunehmend habe ich gesagt, da gibt es Menschen, die das gut können. Da sind Gemeindeberater, Gemeindeberaterinnen, kirchliche Supervisorinnen und Supervisoren. Geht doch mal auf die zu. Die können das mit euch auch gut machen. Und die Erfahrung hat es auch oft gezeigt, man muss das nicht alles selbst tun, man kann das auch lassen. Oder in Veränderungsprozessen nach Kompetenzen zu gucken. Wir haben ja Zeiten, in denen Veränderung ein großes Thema ist. Ich würde mich noch weniger um Fragen kümmern, wie finanzieren wir das alles, wo kommt das Geld am Ende her? Da muss man eine Idee haben, aber man muss es nicht selber machen. Da gibt es kompetentere. Oder Dinge der Verwaltung der Verwaltung überlassen. Ich würde konzentrierter gucken, ob wir nicht Menschen haben, die es wirklich gut können.
F: Wo hast Du am meisten gelernt?
PB: Am meisten gelernt habe ich in Krisen und in Fehlern. Im Rückblick, immer dann, wenn es um große Probleme ging, habe ich gedacht, oh, das ist dir aber auch viel Erfahrung zugeflossen. Man muss sich mit den Dingen auseinandersetzen, man muss die Dinge durchdenken, man muss sie rechtlich angucken, man muss sie seelsorglich angucken. Und wenn man das hinter sich hat, denkt man: Oh, da hast du aber viel gelernt. In den ganz schwierigen Situationen und die gab es, ist für mich persönlich viel gewachsen, an Selbstvertrauen und Vertrauen zu anderen, dass man da nicht alleine durchgehen muss, dass man immer Menschen findet, die mit einem zusammenstehen. Dies war bei uns der Kreissynodalvorstand.
F: Wo steht der Kirchenkreis Recklinghausen jetzt?
PB: Da gibt es eine doppelte Antwort. Es gibt eine rückblickende und eine vorausschauende Antwort. Wenn wir uns mal angucken, was wir in den letzten 15 Jahren für Herausforderungen bewältigt haben, dann ist viel erreicht. Dieser Kirchenkreis hat ungefähr ein Viertel der evangelischen Mitglieder verloren. Wir haben nur noch die Hälfte der Finanzkraft . Es hat eine Fülle von Veränderungen gegeben, auch personell. Ich habe fast 100 Menschen verabschiedet. Das zeigt noch einmal, welcher personelle Wandel darin steckte. Wir hatten es immer mit dem Thema Veränderung zu tun. Und das geht vielen Institutionen in unserer Region so. Es geht auch ums Kleinerwerden mit Augenmaß. Und wenn ich da zurückschaue, finde ich, da haben wir eigentlich viel erreicht. Dass wir nicht hektisch gucken müssen, wie kommen wir von einem Jahr aufs andere, sondern dass wir eine stabile Grundlage haben. Die Gemeinden wissen, wie ihre Situation ist, sehr verschieden sicherlich. Dienste und Verwaltung des Kirchenkreises stehen da, wo sie heute sind, relativ stabil. Und unser Diakonisches Werk ist in einer Situation, die ich als sehr gut bezeichnen würde. Und immer wieder wird es auch weitergehen. Darum ist mein Blick nach vorne, genauso wie man zurückschaut. Das heißt nicht, dass es jetzt einen Stillstand oder so ein Ausruhen gibt, sondern diese Prozesse werden weitergehen. Auch dafür haben wir in der Kreissynode, in den Ausschüssen, im Kreissynodalvorstand auch ein großes Vertrauen zueinander gefunden haben, wie wir die Dinge miteinander tun wollen. Wir haben Ziele verabredet, zur Personalentwicklung, zur Finanzentwicklung; und die überprüfen wir. Auch inhaltliche Vorhaben, die gewesen sind, in den vergangenen Jahren, wo es durchaus Impulse gegeben hat, Innovationen gegeben hat: BlinkenBible, Kirchliches Filmfest, Gospelbewegung, ich könnte einiges mehr nennen. Und wenn man nach vorne schaut, ist da natürlich die Frage, wohin geht’s? Da muss man natürlich ein Wort sagen zur gemeinsamen Zukunft mit dem Kirchenkreis Gladbeck- Bottrop-Dorsten. Da haben wir uns vor einigen Jahren auf den Weg gemacht und sind im Moment in der Situation, dass wir die Frage der Vereinigung der Kirchenkreise liegenlassen. Aber ich glaube, da wir es eine Entwicklung geben, dass wir aufeinander zugehen. So wie 1961 die Kirchenkreise aus strukturellen Gründen geteilt worden sind, werden sie zu gegebener Zeit auch wieder zusammenkommen. Die Menschen werden sehr genau spüren, wann der richtige Zeitpunkt da ist. Das wird aber kommen und es muss auch kommen.
F: Wie sieht der Nachbarkirchenkreis uns, nachdem die geplante Vereinigung nicht zustande gekommen ist?
PB: Ich glaube, sie sehen uns in der Perspektive des größeren Partners. Natürlich ist klar, dass Gladbeck- Bottrop-Dorsten ein kleinerer Kirchenkreis ist, auch anders strukturiert. Und trotzdem glaube ich, sehen sie uns nachbarschaftlich, partnerschaftlich, geschwisterlich. Von daher auch mit einer Offenheit, die anstehenden Fragen auch anzugehen.
F: Wo liegen die Aufgaben deiner neuen Aufgaben in Berlin? Was erwartet dich da?
PB: Das sind vielleicht gar nicht so andere Herausforderungen, als die, die wir hier im Kirchenkreis und in Gemeinden haben. Worum geht es im Moment? Es geht um die Frage: Wie können wir heute und morgen als evangelische Kirche unseren Auftrag, die gute Nachricht von der befreienden Gnade Gottes so zu den Menschen tragen, dass sie auch bei ihnen ankommt. Das ist unser Grundauftrag als Kirche, als Christinnen und Christen. Und diese Herausforderung ist nicht mehr so selbstverständlich wie noch vor Jahrzehnten und vor zehn oder zwanzig Jahren. Es ist die Frage, wie gelingt es uns in Zukunft, das so gut zu machen, dass wir Menschen gut erreichen. In meinem Arbeitszimmer hängt ein Abdruck der Barmer Theologischen Erklärung von 1934. Da gibt es die schöne Formulierung, dass es der Auftrag der Kirche ist, dass die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten ist an alles Volk. Es geht um die Frage, wie wir möglichst alles Volk erreichen. Nicht immer, aber möglichst. Das ist auch die Frage, mit der sich Menschen in Leitungsverantwortung und in Führungspositionen in der Evangelischen Kirche beschäftigen und beschäftigen wollen, sollen und müssen. Das ist im Grunde mein zukünftiger Auftrag. Menschen in Führungs- und Leitungspositionen die Gelegenheit zu eigenen Lernen zu geben in der Frage, wie gelingt es uns in Zukunft theologisch verantwortet, unsere Kirche zu gestalten. Die Herausforderungen sind dabei natürlich, das in Einklang zu bringen: Die eigene Tradition, aus der man kommt. Zweitens ist da auch das Wissen darum, es wird weiter weniger Gemeindemitglieder , es wird weiterhin ein Absinken der Kirchensteuereinnahmen geben. Und das Dritte: Wir müssen nahe bei den Menschen bleiben. Wir müssen weiterhin differenzierte Möglichkeiten haben, Menschen zu erreichen. Wie macht man das eigentlich in einer leitenden Verantwortung? Und damit sind nicht nur Superintendentinnen und Superintendenten gemeint. Das sind in unserer Kirche auch viele Menschen in Ehrenämtern. Auch die sind eindeutig mit im Blick, wenn wir nicht nur reagieren wollen, sondern planerisch nach vorne schauend aktiv diese Kirche gestalten. Das ist die Herausforderung in der die Aufgabe der Führungsakademie steht.
F: Was bedeuten die Begriffe Führung und Leitung für dich?
PB: Beim Kirchenbegriff ist es ja so, dass wir Theologen von der sichtbaren und der unsichtbaren Kirche sprechen. Das eine ist relativ schnell zu erschließen. Es gibt ein schönes Kirchenlied, das heißt, „Führe mich, oh Herr, und leite meinen Gang nach deinem Wort“. Wir glauben daran, dass der Herr die Kirche alleine leitet. Und dazu braucht er auch Menschen. Das ist die sichtbare Kirche. In dieser sichtbaren Kirche gibt es ein paar Themen, die oben liegen. Das sind die Fragen, die wir auch in der Vergangenheit gelernt haben: Wie beteilige ich Menschen an solchen Prozessen? Und dem zugeordnet, oder etwas gegenüber, wie entwickeln sich eigentlich Bilder einer sich verändernden Kirche? Wie bekomme ich Bilder, die uns wirklich tragen? Die zweite Frage werden die Grundfragen von Organisation: Wie geht auch loslassen? Wie geht auch Kleinerwerden? Das Dritte ist die Frage: Wie motivieren wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, solche Wege mitzugehen oder weiter mitzugehen? Welche Mitarbeitenden werden wir überhaupt brauchen in Zukunft? Die Fragen nach Ressourcenorientierung, Gabenorientierung. Wie können wir die Stärken von Menschen stärken? Es wird auch um die Frage gehen, wie vermitteln wir, was wir zu tun haben? Im Kern haben wir uns mit den Inhalten auseinanderzusetzen und nicht mit der Verpackung. Die Verpackung folgt dem Inhalt. Im Inhalt geht es darum, wie gesagt, wie die Frage Weitergabe des Evangeliums in dieser Welt in der nächsten Generation gelingen kann. Das wird die Kernfrage sein.
F: Was muss die Evangelische Theologie den Menschen heute sagen?
PB: Wenn meine Wahrnehmung richtig ist, dann haben wir im Moment eine relativ schwache Phase der evangelischen Theologie. Was meine ich mit evangelischer Theologie? Das ist, was neulich mal ein Gastreferent der Pfarrkonferenz gesagt hat: Evangelischer Glaube ist immer auch ein intellektuelles Abenteuer. Gott in dieser Zeit und in dieser Welt zu denken, da habe ich das Gefühl, wir haben eine Phase, die ist nicht stark, die ist eher schwach ausgeprägt. Da kann man ruhig mal alle möglichen Bereiche der Kirche durchspielen, von der sonntäglichen Predigt bis zur Universität. Während wir auf der anderen Seite geradezu beglückend die Wiederentdeckung von Frömmigkeit und Spiritualität erleben, in alten und neuen Formen: Pilgern, Meditation, Rituale, wo wir Gott feiern. Da spüren wir, das tut und gut. Bei dem, was wir brauchen, meine ich, ist das in Einklang zu bringen. Diese Sehnsucht nach Sinn, nach Orientierung im Leben, die Sehnsucht nach Antworten im Leben, übrigens nicht nur für mein persönliches Leben. Wir sind auch Verunsicherte, was das Gemeinwesen angeht: Städte, Finanzen, Europa, Weltwirtschaftskrise. Wir haben eine globale Sinnkrise. Und darin jetzt die Antwort zu geben, was bedeutet das jetzt für Menschen, die einem Gott vertrauen, der solange wir seine Geschichten erzählen, ein Gott ist, der mitgeht, ein Gott ist, der nicht von unserer Seite weicht. Persönlich nicht und nicht in den großen Krisen dieser Welt. Diese Antwort, die Menschen in dieser Welt Sinn gibt, und das ist für mich Glaube. Und Glaube ist dann Gewissheit, wenn ich meinen Weg in Ruhe gehen kann. Das ist die Herausforderung, in der wir stecken als Theologinnen und Theologen, aber auch als Christenmenschen, wo auch immer sie ihre Verantwortung wahrnehmen.
F: Welche Fähigkeit oder Kunstfähigkeit würdest du gerne beherrschen?
PB: Ich würde gerne besser mit den neuen Techniken umgehen können. Ich bin immer wieder begeistert, wenn Leute gut Powerpoint können, das muss man ja auch gut können. Ich merke, dass ich einer bin, der zu einer Übergangssituation gehört. Und: ich hätte gern gelernt, ein Instrument zu spielen.
F: Was liest Du gerade?
PB: Ich lese gerade einen Kriminalroman. „Die Akte Vaterland“ von Volker Kutscher. Das ist der vierte Band einer Reihe, in der Volker Kutscher in toller Weise die Weimarer Republik zwischen 1925 und 1931 beschreibt: Das politische Berlin Ja es ist Berlin. Ich finde das faszinierend, über die Form Kriminalroman, sich mit dieser Zeit auseinanderzusetzen, die ja auch nicht wusste, wo es hinging. Es gibt da schon Parallelen. Es ist aber auch ein toller Krimi.
geb. 1958 in Minden/Westfalen, verheiratet, drei Kinder und zwei Enkelkinder
1977 - 1983 Studium der Ev. Theologie und Pädagogik an der Universität Münster
Zusatzqualifikation: Gemeindeberatung/Organisationsentwicklung
1985 - 1996 Pfarrer in der Ev. Dreifaltigkeitskirchengemeinde Marl
1996 - 2012 Superintendent des Ev. Kirchenkreises Recklinghausen
2012 Vorstand der Führungsakademie für Kirche und Diakonie (FAKD) in Berlin
Besondere Funktionen und Mitgliedschaften:
Seit 2004 Mitglied der Kirchenleitung der EKvW im Nebenamt
Seit 2011 Projektleitung „Personal- und Sachausstattung von Verwaltungen in der EKvW" (in Zusammenarbeit mit Kienbaum Consulting)
Seit 2010 Mitglied im „Beirat für Leitungshandeln in der evangelischen Kirche“ (EKD)
2009 - 2011 Mitglied der Arbeitsgruppe „Personalentwicklungskonzept Pfarrberuf 2030"
seit 1996 Mitglied des ständigen Kirchenordnungs-ausschusses der EKvW
1999-2002 Vorsitzender des Struktur-und Planungsausschusses der EKvW
2002-2005 Prozess-Lenkungsausschusses „Kirche mit Zukunft" (Vorsitz)
2004-2008 Mitglied im politischen Ausschuss der EKvW
2006-2008 Perspektivkommission der EKvW (Vorsitz)
seit 2009 Vorstand des Vereins für westfälische Kirchengeschichte
Interview am 4. September 2012, die Fragen stellte Dr. Hans Hubbertz
Foto: hh