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EMPFANG DES KIRCHENKREISES mit Uwe Schulz zum Thema "Grenzenlos aggro? - Vom rechten Weg in einer ver-rückten Welt"

MARL – Die Frage nach der christlichen Verantwortung in der heutigen Gesellschaft, die geprägt ist von auseinander driftenden Strömungen und eskalierenden Konflikten, stand im Mittelpunkt des Empfangs des Evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen am Buß- und Bettag in der Dreifaltigkeitskirche in Marl-Brassert. Von Jürgen Wolter
EMPFANG DES KIRCHENKREISES mit Uwe Schulz zum Thema "Grenzenlos aggro? - Vom rechten Weg in einer ver-rückten Welt"

Uwe Schulz (links) und die anschließende Talkrunde mit Moderator Michael Wiese, Horst Buddych, Bürgermeister Werner Arndt und Martin Fromme (v.l)

Zu Beginn verlas Synodalassessor Frank Rüter einen geistlichen Impuls in Vertretung von Superintendentin Katrin Göckenjan, die beim Empfang nicht selbst anwesend sein konnte. Klimawandel, „Paradise Papers“, die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich: „Was zählt eigentlich noch in dieser ver-rückten und sich immer weiter verrückenden Welt?“, lautete die Ausgangsfrage, auf die Katrin Göckenjan mit einem Rückgriff auf die biblische Geschichte vom Propheten Jona antwortete, der der Stadt Ninive ihren Untergang prophezeien soll und zunächst flüchtet, um sich der Aufgabe zu entziehen. Schließlich erfüllt er seine Aufgabe doch und die Stadt besinnt sich zur Buße. Die Aufgabe wächst Jona zunächst über den Kopf. „Wachsen uns unsere Aufgaben, unser Leben auch über den Kopf? Wohin wird uns diese ver-rückte Welt führen? Können auch wir durch Buße und Beten die Zwischenräume unseres Lebens wieder neu füllen?“, lauteten die Einstiegsfragen.

Uwe Schulz, WDR-Hörfunkjournalist, bekennender Christ, aber mit „seiner Kirche“ durchaus nicht in allen Punkten konform, fand als Gastreferent eine Antwort in dem verantwortlichen Engagement von Christen in der Gesellschaft. Er griff dabei auf eine Frage Dietrich Bonhoeffers zurück: „Was ist verantwortbar vor den Menschen, die kommen werden?“ Diese Frage, „gestellt in einer viel schwereren Zeit als der heutigen“ (unter der Herrschaft der Nationalsozialisten), so Schulz, gelte es bei der Besinnung auf den Buß- und Bettag zum Ausgangspunkt der Überlegungen zu machen. Rechter Protest vieler Menschen, Aggressivität der Sprache – das sei Ausdruck des Gefühls: „Ihr habt uns vergessen!“.

„Diesen Nöten haben wir uns nicht genug gewidmet“, sagt Uwe Schulz in Marl. „Es gibt inzwischen Menschen, die können nicht mehr wollen, haben alle Kraft und allen Antrieb verloren.“ Schule, Ausbildung, Berufsleben, das sei lange die Normalität gewesen im Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. An dieser Entwicklung könnten aber heute immer mehr Menschen nicht mehr teilhaben. Aufgabe der Christen in der Gesellschaft sei es deshalb, nicht aus Zorn selbst schuldig zu werden, sondern im Geist Gottes zu leben und mutig davon auszugehen: „Diese Welt geht nicht vor die Hunde!“ „In voller Diesseitigkeit des Lebens Glauben lernen“: Dieses Postulat Dietrich Bonhoeffers steht für Uwe Schulz am Anfang des Engagements. Büßen bedeute, Perspektiven zu entwickeln, und Beten, Gott Antworten zu geben. „Lassen Sie uns in diesem Sinne fröhliche Büßer und tapfere Beter sein!“, forderte Schulz die rund 150 Gäste auf.

Drei Menschen, die auf unterschiedlichen Gebieten engagiert auch Widerständen entgegen treten, berichteten anschließend von ihren Erfahrungen: Martin Fromme, der im Bonhoeffer-Zentrum der Diakonie Menschen mit Autismus betreut, Horst Buddych, der sich um Flüchtlinge in Marl kümmert, und Werner Arndt, Marler Bürgermeister, der auch schon persönlichen Anfeindungen ausgesetzt war.

Martin Fromme berichtete von Skepsis und Unverständnis, die der Gruppe, die er betreut, aus der Nachbarschaft entgegenschlägt. Immer wieder versucht er Grenzen zu überwinden. „Ich will allen zeigen, dass man mit Menschen mit Behinderungen auch lachen kann“, sagte er in Marl.
Horst Buddych fühlt sich bereichert durch die vielfältigen Kontakte, die er inzwischen zu Flüchtlingsfamilien aus den verschiedensten Ländern entwickeln konnte. Aber auch er stößt manchmal auf Unverständnis für sein Engagement.
Werner Arndt berichtete von Anfeindungen. Schmierereien wie „Werner die!“ (Werner stirb!) hätten auch ihn verunsichert und seine Familie in Angst versetzt, so der Marler Bürgermeister.
Trotz dieser Widerstände machen alle drei weiter. „Sie sind Beispiele der friedfertigen Welt, die so unendlich vielfältiger ist“, sagte Uwe Schulz.

Zum Abschluss stellte Dr. Ulrike Preuß als Vorsitzende des Stiftungsrats die Aktivitäten der kirchlichen Gemeinschaftsstiftung „ernten und säen“ vor. Diese hat unter anderem ein Projekt „Gemeinsames Essen“, eine Veranstaltung des Marler Weltzentrums, ein Filmprojekt „Sterbebegleitung“, ein integratives Sportprojekt und eine Berlinfahrt für Asyl suchende Jugendliche finanziert.

Im nächsten Jahr sollen Aktivitäten in Kindergärten gefördert werden. Es gibt ein Positionspapier der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Familie in NRW zum Thema Kinderarmut: „Satt an Leib und Seele“, an dem auch Superintendentin Katrin Göckenjan mitgearbeitet hat. Die Kindertageseinrichtungen sind von diesem Thema direkt betroffen. Das Geld der Stiftung kann natürlich nicht alles heilen, aber es sollen Projekte in evangelischen Kindertagesstätten unter dem Motto „Brücken bauen“ angeregt werden. Dabei sollen solche Aktionen gefördert werden, die einen integrativen oder interreligiösen oder auf den Stadtteil bezogenen Charakter haben und die die Teilhabe für unterschiedlichste Menschen ermöglichen“, so Dr. Ulrike Preuß

Musikalisch hatte Pfarrer Gert Hofmann den Empfang mit jazzigen Improvisationen, unter anderem zu „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, umrahmt. JW