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"Heimat" bleibt ein Ort der Sehnsucht

Das Wort "Heimat" ist ein schillernder Begriff. Er wurde und wird bis heute gerne mißbraucht: für die eigene Abgrenzung und zu politischen Zwecken. Dr. Frank Hoffmann, Intendant der 14. Ruhrfestspiele zum Thema "Heimat" und Landessozialpfarrerin Heike Hilgendiek begaben sich in einem Gottesdienst in der Christuskirche auf eine Spurensuche - und entdeckten Seltsames und Eigenwilliges.
"Heimat" bleibt ein Ort der Sehnsucht

(v.l.) Pfarrer Eugen Soika, Intendant Dr. Frank Hoffmann und Landessozialpfarrerin Heike Hilgendiek (Foto: GH)


RECKLINGHAUSEN - Das Jahr 2018 birgt das doppelte Ende einer Ära: das Ende des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet und das Ende der Intendanz von Dr. Frank Hoffmann (64) nach 14 erfolgreichen Ruhrfestspieljahren. Mit seiner letzten Spielzeit gibt Hoffmann „in Zeiten von AfD und Flüchtlingsströmen“ dem aktuell viel diskutierten, schillernden Begriff ‚Heimat‘ eine Bühne, „um dem Missbrauch des Begriffs durch politische Instrumentalisierung oder für die eigene Abgrenzung etwas entgegenzusetzen“, schreibt er in seinem Grußwort auf der Homepage der Ruhrfestspiele. 

 

Ein guter Zeitpunkt für die Evangelische Altstadt-Kirchengemeinde in Kooperation mit dem Institut für Kirche und Gesellschaft (IKG, Schwerte) und „Glückauf Zukunft“, den Intendanten zu einem „Gottesdienst im Rahmen der Ruhrfestspiele“ einzuladen, so Pfarrer Eugen Soika bei der Begrüßung in der Christuskirche. Hier lag es nahe, das vielschichtige Phänomen nicht nur hinsichtlich eigener Erfahrungen zu reflektieren, sondern auch auf biblischem Hintergrund. 

 

Einen kleinen Teil der vielen verschiedenen Zugangsmöglichkeiten konnten Soika und Hilgendiek anfangs durch eine kleine Befragung der Gottesdienstgemeinde zu ihrer Herkunft und zur Relevanz des Themas „zwischen Pommes Rot-Weiß, dem digitalen Umbau der Arbeitswelt … und 180 Nationen, die hier leben“ öffentlich machen. Der Eintrag ins Poesiealbum einer Gottesdienstbesucherin, in dem Heimat als „der Ort, wo deine Pflichten sind“, beschrieben wurde, fand dabei ebenso Platz wie der eher vage Versuch der digitalen Bibliothek wikipedia mit einer Definition von Heimat als „Beziehung zum Raum“.

 

In einer Art Co-Predigt mit Hilgendiek las Hoffmann aus seinem Grußwort zur laufenden Spielzeit. Darin skizzierte er sein Verständnis des Begriffs: „Und wenn am Ende der Festspiele 2018 auch meine Zeit im Ruhrgebiet zu Ende geht, werde ich sie auch erfahren haben: die verlorene Heimat an der Ruhr als ein Zuhausesein in der Welt, und sie scheint mir – frei nach Bloch – in die Kindheit hinein.“ Eine Hoffnung im Prozess der Geschichte, eine Perspektive, die - im Sinne Blochs - erst noch gewonnen werden muss im nicht aufzulösenden Spannungsverhältnis zwischen Heimat und Fremde.

 

Angesichts des längst begonnenen Kulturwechsels im Revier fragte Hoffmann: „Was bleibt von der Kohlenpott-Romantik? Was bedeutet es für die Ruhrfestspiele, wenn von ihrem Gründungsmythos ‚Kunst für Kohle‘ nur noch die Kunst bleibt?“ In der Debatte darum gehe es um das „Ankommen, Weggehen und Bleiben. Und das neu Gestalten. Erfinden, Öffnen.“

 

In der Beschreibung dieser Such-Bewegung, den darin erkennbaren Egoismen und Sehnsüchten sowie in der Erfahrung von Vertreibung „scheinen Religion und Theater verwandt zu sein“, sagte Hilgendiek. Die Verheißung einer Heimat für die Vielen gebe es seit biblischen Zeiten, erinnerte sie. Der Prophet Micha beispielsweise habe die Sehnsucht nach einem sicheren Wohnen mit Blick auf den Berg Zion formuliert, auf dem Gott die Menschen zusammenruft. Auch Jesus habe eine Fluchtgeschichte gehabt und „keinen Ort, wo er sein Haupt niederlegen“ konnte. 

 

Heimat und die Sehnsucht danach sei immer wieder politisch instrumentalisiert worden, gab Hoffmann zu bedenken. Dem gegenüber entwerfe das Theater „im freien Raum einen Entwurf für ein neues Leben.“ Es versuche, das zu bezeichnen, „was der Menschen Zuhause ist und wo sich die Menschen fremd fühlen, was sie sich erträumen“, sagte er.

 

Die praktische Relevanz und politische Tragweite des Themas zeigte sich insbesondere bei den Fürbitten: „Hilf, dass die politisch Verantwortlichen das Heimatministerium nicht zu Kitsch oder Rückwärtsgewandheit verkommen lassen“, lautete eine. 

 

Mehrere musikalische Brückenschläge zum Thema gelangen Kirchenmusikdirektorin Elke Czernysev während des Gottesdienstes, die zwischen den Wortbeiträgen ihren gewohnten Platz an der Orgel verließ, um am Klavier einige bekannte und zu vielen Gelegenheiten gesungene „Heimatlieder“ zu intonieren und darüber zu improvisieren. Auf diese Art bot sie einen wunderbar verfremdenden Resonanzraum, sich darin der potentiellen Wiederkehr des Immergleichen zu widersetzen und dem Ganzen eine ästhetisch-distanzierende Note zu verleihen. GH