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Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Römer 12, 21)

Zur Jahreslosung 2011 finden Sie einen Text von Peter Burkowski, Superintendent im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen
Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Römer 12, 21)

Superintendent Peter Burkowski

1. Was soll ich tun?

 

Gut und Böse. Und das Böse überwinden – durch das Gute. Alles klar, oder?

 

Es geht um mich. Es geht um mein Verhalten. Wie lebe ich, wenn ich es mit Gott zu tun bekomme? Welche Folgen hat es, wenn mein Leben in Verantwortung vor Gott und den Menschen geschieht?

 

In der Jahreslosung, dem Leitwort für das Jahr 2011 geht es also weniger um die Frage nach Gott, nach der Anbetung Gottes oder nach dem richtigen Weg zur Gotteserkenntnis.

Es geht um das richtige Leben, um gut und böse. Oder: Wie lebe ich richtig?

 

Die Bibel wird immer wieder so befragt. Regelmäßig oder bei Gelegenheit lesen Menschen die Bibel mit genau dieser Frage: Was soll ich tun? Wie lebe ich richtig? Wie soll ich mich entscheiden?

 

Auch in Gottesdiensten sitzen wir oft mit genau dieser Frage. Bei der Taufe fragen wir uns: Wie soll ich mein Kind richtig erziehen? Was soll ich tun – und was nicht?

 

Wenn Menschen heiraten, fragen sie voller Sorge, denn Sie wissen, dass viele Partnerschaften scheitern: Was sollen wir tun? Wie leben wir richtig miteinander?

 

In persönlichen Krisen fragen wir: Was sollen wir tun? Wie soll ich mich verhalten?

 

In beruflichen Konflikten zwischen meinen inneren Ansprüchen und den Sachzwängen des Alltags fragen wir: Was soll ich tun? Wie soll ich mich entscheiden?

 

Und in den großen Zukunftsfragen fragen wir auch: Wie geht es weiter? Was sollen wir tun?

Die Klimafragen werden uns auch im Jahr 2011 beschäftigen. Und wenn wir uns im April an die Katastrophe von Tschernobyl erinnern werden, dann stehen wir vor der Frage, wie wir mit atomaren Abfällen umgehen wollen und welche Entscheidungen wir für die Zukunft unserer Kinder und Enkel treffen werden. Was ist zu tun?

 

Die Gesundheitsreform und ein möglicher Generationenkonflikt sind zum Dauerthema geworden. Und fast wird dabei übersehen, dass immer mehr Menschen pflegebedürftig werden. Demenz nimmt immer mehr zu; und die Bedingungen für die Versorgung alter und kranker Menschen werden immer komplizierter und schwieriger. Was ist zu tun?

 

Gut und böse. Natürlich denke ich dabei auch an Krieg und Frieden. Fassungslos schaue ich auf die Kriegsgebiete dieser Welt, die wir gar nicht gezeigt bekommen: die vielen Krisen und Kriege in Afrika; die Gewalt in Afghanistan und anderswo. Schon lange kämpfen nicht nur Nationalstaaten gegeneinander, sondern Söldnergruppen, die ihre eigenen Interessen vertreten. Es geht um viel Geld. Und täglich sterben Menschen, denn im Krieg sterben immer Menschen. Und das größte Leid tragen die Frauen und die Kinder.

 

Was soll ich tun? Wie soll ich mich entscheiden? Wie lebe ich richtig?

 

2. Unterbrechung bringt die Wende

Die Bibel hat ziemlich klare Vorstellungen und gute Regeln für das menschliche Zusammenleben entwickelt. In der jüdischen Tradition der Thora, der Weisungen für das Leben, stehen die Gebote im Alten Testament wie Zäune um das Leben. Wir kennen das aus den Zehn Geboten: Damit das Leben geschützt ist, soll kein Leben genommen werden. Damit das Zusammenleben nicht zerstört wird, soll das Eigentum des Nachbarn geachtet werden. Die Gebote als Regeln, die die Freiheit des Zusammenlebens bestimmen.

 

Im Neuen Testament ist die klarste Regel für die Frage danach, wie ich mich verhalten soll, die Goldene Regel aus der Bergpredigt (Matthäus 7, 12): Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.

 

Eine klare Regel: Wie Du behandelt werden möchtest, so behandle auch andere! Wie Du – als Kind, als Frau, als Mann, als fremder, als alter oder als kranker Mensch behandelt werden möchtest, so behandle auch andere Kinder, Frauen, Alte oder Arme.

 

Schon im jüdischen Recht des Alten Testaments wurden die uralten Racheprinzipien durchbrochen. Menschen, die an Gott glauben, erleben und leben einen Herrschaftswechsel. Sie gehorchen nicht mehr den alten Gewohnheiten von Gewalt und Gegengewalt, von Blutrache und Vergeltung, vom Recht des Stärkeren. Sie gehorchen dem, der eine andere Herrschaft begonnen hat: Glaube, Liebe, Hoffnung oder Menschenwürde und Gerechtigkeit.

 

Im Kapitel 12 des Römerbriefs beschreibt Paulus das Verhalten von Christinnen und Christen. Das Unterbrechen der Gewaltkreisläufe gilt offenbar innerhalb der christlichen Gemeinde und nach außen. Mit diesem Unterbrechen fängt alles an – und bei sich selbst: „Haltet Euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemand Böses mit Bösem. (Unterbrechung!). Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist es möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.. (Unterbrechung!)… Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Römer 12, 16 b – 21)

 

3. Vertrauen verändert alles

 

Christinnen und Christen sollen so handeln: Auf Vergeltung verzichten und – mehr noch – auf eine negative Erfahrung mit einem positiven Handeln antworten. Dabei ist Paulus durchaus Realist. Er weiß wohl, dass durch ein friedliches Verhalten nicht gleich die Gegenseite zustimmen wird: „Soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden“. Das ist mehr als ein resignierendes Zugeständnis nach dem Motto: Ich kann ja doch nichts machen. Hier geht es um mehr: Christinnen und Christen sollen sich nicht rächen. Sie sollen den „üblichen“ oder „fälligen“ Ausgleich nicht selbst besorgen. Denn ein Urteil steht allein Gott zu. Er allein urteilt über Menschen.

 

Das bedeutet aber: Den Mitmenschen ist zunächst ein Vertrauensvorschuss zu gewähren. Und das eigene Handeln sollte so sein, dass es anderen Menschen eine Veränderung zum Guten ermöglicht.

 

So handeln – aus der Sicht des Paulus – die im Glauben erneuerten Menschen: Sie unterbrechen die alten Kreisläufe, sie verzichten auf Vergeltung, sie geben Vertrauen und handeln so, dass die anderen sich verändern können.

 

Unterbrechen – Vertrauen geben und Freiräume für andere. So zu handeln, fällt auf!

 

Gut und Böse. Und das Böse überwinden – durch das Gute. Alles klar, oder doch nicht?

 

Geht das eigentlich? Ist das denn realistisch in dieser Welt?

Genau diese Frage und diese Aufgabe stellt die Bibel uns heutigen Menschen: Unter wessen Herrschaft lebst Du, unter der Herrschaft Gottes oder unter den Sachzwängen und Gewohnheiten dieser Zeit: Man darf doch keine Schwächen zeigen! Bloß nicht nachgeben! Setz Dich durch – um jeden Preis!

 

Der Glaube an Gott unterbricht die alten und gewohnten Muster. Wer nicht immer nur weiter macht, kann etwas Neues wagen. Und wer nicht immer alles nachmacht, was die sogenannten Mächtigen dieser Welt vormachen, kann erstaunliche Entdeckungen machen.

 

Da bittet jemand um Entschuldigung – und reißt die alte Mauer des Schweigens ein, die so lange zwischen den beiden Menschen gestanden hatte.

 

Da bemühen sich zwei Menschen um einen Weg in die Zukunft, den sie alleine nicht schaffen, weil sie immer wieder in Vorwürfen hängen bleiben. Als sie sich trauen, eine Beratung in Anspruch zu nehmen, enden die alten Sätze und neue Möglichkeiten und neue Worte öffnen die Zukunft.

 

Da erleben wir in Stuttgart einen Streit um den richtigen Weg in die Zukunft der Demokratie, Menschen und Meinungen stehen sich fast feindlich gegenüber. Nichts geht mehr. Erst ein Schlichter bringt wieder neue Gespräche auf den Weg.

 

Da gibt es seit Jahrzehnten Nachbarn, die einen sind in der Türkei geboren, die anderen in Deutschland. Die Debatte um die Integration bringt die Idee: ein gemeinsamer Kochkurs im Gemeindehaus. 

 

Da leben und arbeiten Menschen viele Jahre nebeneinander – auch in Kirchengemeinden – und bei einem gemeinsamen Ausflug oder Fest entdeckt man, dass es bei „den Anderen“ viele nette Menschen und kluge Ideen gibt. Wir sollten zusammen weiter gehen!

 

Wir brauchen Unterbrechungen und die Hoffnung des Glaubens, dass Gott die Wege der Unterbrechung und des Vertrauens segnet. Genau diesen Weg ist Jesus von Nazareth gegangen. Er unterbrach die alten Bilder und überraschte durch neue Anfänge:

„Heute will ich in Dein Haus einkehren“ – so beginnt die Mahlgemeinschaft mit dem Ausgestoßenen.

„Sorget nicht! Seht die Lilien auf dem Felde an, wie sie wachsen…“ – so einfach unterbricht Jesus die tiefe Selbstsorge um das eigene Leben und öffnet den Weg zu Gott. Im Gottvertrauen verändert sich das Leben.

 

Der Glaube an Gott verändert die Menschen und die Welt. Und diese Welt hat sie dringend nötig, damit Menschen die Würde bleibt und das richtige Maß dessen, was ihnen möglich ist.

 

4.  Auch im Scheitern bleibt Gottes Liebe

 

Der Gaube an Gott kann ermutigen zum furchlosen Widerspruch, zur befreienden Frage und zur Unterbrechung, damit das Leben gelingt.

 

Paulus ist ein Realist, der auf Gott vertraut: „soviel an Euch liegt“ versucht, das Böse zu verändern, „soviel an Euch liegt“ – und damit meint er auch im Vertrauen auf Gott – versucht, für die Liebe, für den Frieden und die Gerechtigkeit zu leben und sogar zu streiten.

Aber wir können auch scheitern und „das Böse“ ist nicht zu verändern, die Welt verändert sich nicht von heute auf morgen. Was dann?

Dann bleibt Gottes Liebe und Versprechen: „Ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“ (Matthäus 28) oder „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Christus ist…“ (Römer 8).

 

Für das kommende Jahr wünsche ich Ihnen allen solches Gottvertrauen und viele heilsame Unterbrechungen. Oder so:

 

„Sage ja zu den Überraschungen, die deine Pläne durchkreuzen, deine Träume zunichte machen, deinem Tag eine ganz andere Richtung geben – ja vielleicht deinem Leben. Sie sind kein Zufall. Lass dem himmlischen Vater die Freiheit, selber den Verlauf deiner Tage zu bestimmen.“ (Helder Camara)

 

Peter Burkowski, 10.12.10

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