Migration und Globalisierung von unten - Thomas Gebauer (medico international) referiert zu den Fluchtursachen der weltweiten Migrationsbewegungen
Im Pressegespräch vor seinem Vortrag umriss Thomas Gebauer, die laufende Globalisierungspolitik in ihrer Widersprüchlichkeit: Der Liberalisierung des Waren- und Kapitaltransfers stehe die Beschränkung der Freizügigkeit von Menschen gegenüber, auf Kosten der Rechte und der Bedürfnisse der Menschen im Süden. Diese machten sich nun auf den Weg und erzwängen so eine ‚Globalisierung von unten‘. Historisch betrachtet, gehörten Völkerwanderungen jedoch schon immer zur Menschheitsgeschichte. Die Welt sei aber gegenwärtig zugleich näher zusammengerückt und "gespaltener denn je“, so Gebauer. Für Gebauer liegt die Ursache auf der Hand: „Die soziale Ungerechtigkeit ist der Haupttreiber für Krankheiten, für die Zunahme von Gewalt, für die Zunahme von diesen Migrationsströmen, die immer eine Antwort sind auf diese zunehmende Ungleichheit und Spaltung der Welt“, faßte er seine Analyse pointiert zusammen.
Die aufkommenden Fixierungen auf Zäune und Grenzen seien Versuche, den status quo der bestehenden Ungleichheit konstant zu setzen und nur über Abschottung nachzudenken. „Wenn es so weiter geht, wird es schlimmer werden. Wenn die Zerstörungsprozesse zunehmen, wird die Gewalt zunehmen“, sagte Gebauer.
Die sich stellende Aufgabe sei eine andere Lebensweise: „Was wir brauchen, ist eine nicht-imperiale Lebensweise, die nicht auf Kosten der anderen läuft.“ Ein Beispiel dafür seien die Lernfortschritte im Bereich der Textilindustrie. Es ginge um die Frage nach anderen Formen von Ökonomie, die sich nicht auf Ausbeutung, nicht auf zerstörerischen Wachstum und Profiten gründeten, zum Beispiel gemeinwohlorientierte und genossenschaftliche Wirtschaftszweige. „Da gibt es etwas wiederzuentdecken, wo wir von Menschen aus dem Süden lernen können. Es geht dabei um Systemfragen und darum, wie wir produzieren“, hielt Gebauer fest.
Wenige Tage vor seinem Vortrag in Recklinghausen schrieb Thomas Gebauer auf seinem Blog unter der Überschrift „Die große Herausforderung“ eindrücklich die Logik der Verbindung von herschender Politik und Gewalt: „Die voranschreitende Zerstörung von Lebensbedingen, der Hass und die Gewalt fallen nicht vom Himmel. Sie sind das Ergebnis einer Politik, die die Interessen der Ökonomie über die der Menschen gestellt und so den Ausschluss von großen Teilen der Weltbevölkerung bewusst in Kauf genommen hat. Der katastrophale Fortschritt, den der mächtige Norden in alle Welt exportiert hat, kehrt nun heim.“
Thomas Gebauer ist Diplom-Psychologe und seit 1996 Geschäftsführer der sozialmedizinischen Entwicklungshilfe- und Menschenrechtsorganisation medico international mit Sitz in Frankfurt am Main. Er begann seine Tätigkeit für medico international 1979, zunächst im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, später als Leiter der Projektabteilung. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich Gebauer mit Fragen der internationaler Friedens- und Sicherheitspolitik, mit Menschenrechten und den sozialen Bedingungen globaler Gesundheit. Grundlegend für seine Überlegungen ist ein kritischer Begriffs von Hilfe, an dessen Entwicklung er maßgeblich beteiligt ist. Er ist Mitbegründer der Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL), die 1997 in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Mit seinen Mitstreitern war es ihm gelungen, das weltweite Verbot gegen heimtückische Anti-Personen-Minen durchzusetzen. Im letzten Jahr wurde Thomas Gebauer seitens der Stadt Frankfurt am Main mit der Goethe-Plakette für Menschenrechte ausgezeichnet.
Wir dokumentieren den Vortrag von Thomas Gebauer als
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Text: hh/Bild: uka