Mit der Wiedereinbettung der Sozialen Marktwirtschaft hohe Ziele gesteckt
„Mit ihrer Studie ‚Die Soziale Marktwirtschaft ethisch weiterdenken‘ mischt sich die Evangelischen Kirche von Westfalen in den Deutungsstreit darüber ein, was das Gesellschaftsmodell der Sozialen Marktwirtschaft heute bedeuten kann“, sagt Oberkirchenrat Dr. Ulrich Möller auf der Pfarrkonferenz des Ev. Kirchenkreises Recklinghausen im September 2010. Die Studie wurde erstmals auf der Landessynode im November 2009 öffentlich präsentiert und dem damaligen Ministerpräsidenten des Landes NRW, Jürgen Rüttgers (CDU), übergeben. Die Studie verstehe sich als „Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog“.
Wirtschaftspolitisch aktuell dominant seien hierzulande Leitbilder, die in verkürzter, häufig missdeutender Form den politischen Gestaltungshorizont der Marktwirtschaft prägten. Mit Vertretern der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft habe man die Erfahrung gemacht, wie diese die Begriffe der Sozialen Marktwirtschaft nach eigenem Gusto besetzten. „Richtig verstanden“ könne und müsse mit dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft die gesellschaftliche „Debatte zum Verhältnis von Mensch, Wirtschaft und Gesellschaft neu belebt“ werden.
Auf der Folie der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Krisenlage sowie der kommunalen Schuldensituation seien die Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhrgebiet in ihrem Arbeitsalltag konfrontiert. Nach den aktuellen Krisenerfahrungen sei nunmehr ein „neutraler, starker Staat“ gefordert. Der ungebremste Wirtschaftsliberalismus mit seinen Deregulierungen habe eine Wirtschafts- und Finanzkrise ungeahnten Ausmaßes hervorgerufen. Nun gelte es, wieder zum „Primat der Politik“ zurückzukehren, denn „gute Ordnungspolitik sei gute Sozialpolitik“, wie Dr. Möller formulierte. Im Kontext der Globalisierung, über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus, ginge es um die „Wiedereinbettung der Sozialen Marktwirtschaft“. Die Rolle der Kirche bestehe darin, „nicht Politik zu machen, sondern Politik möglich zu machen“, so Dr. Möller.
Man wolle mit der Studie „wirtschaftspolitische Bausteine“ liefern, einen wesentlichen Beitrag zur Klimagerechtigkeit leisten und die „Ebenen von Verantwortung, der Integration, der Gleichstellungder Geschlechter (gender mainstreaming), der veränderten politischen Verfahren unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der kirchlichen Positionen“ (Studie S. 48) klären.
Zusammengefasst ginge es nach Dr. Möller darum, „Europa als Gestaltungsraum zu begreifen und den Wettbewerb sozial und ökologisch auszurichten“. Für ihn seien insbesondere die Gespräche mit den Vertretern der lateinamerikanischen Kirchen bedeutsam, die im „Hinterhof der USA“ besonders von den Auswirkungen ökonomischer Krisen betroffen seien.
In der anschließenden Diskussionsrunde zeigten einige Pfarrerinnen und Pfarrern ihre Skepsis gegenüber dem Vorhaben der Studie: Man zweifle an der Chance, die hoch gesteckten Ziele der Studie politisch realisieren zu können, ob die Studie nicht zu spät käme, das Problem der Machtkonfrontation nicht unterschätze oder gar am öffentlichen Desinteresse scheitern könnte.
Dr. Ulrich Möller hielt den Einwänden entgegen, die Reichweite der Studie hinge davon ab, ob es gelänge, im „Streit um die Deutung der Sozialen Marktwirtschaft“ erfolgreich sein zu können. Politisch gefordert seien Skandalisierungen, ein „exemplarisches Zuspitzen von Akteuren und Initiativen mit langfristigen Zielsetzungen“, die Lernangebote stifteten. Ein gutes Beispiel sei für ihn die Entwicklung der Anti-Atomkraftbewegung:„Realos und Fundis“ hätten bei der Partei DIE GRÜNEN öffentlich gestritten und debattiert. Inzwischen gehöre die Kirche mit über hundert anderen Organisationen zur sog. Klimaallianz und nehme politisch Einfluss.
Text/Bild: hh
Link zum Text der EKvW-Studie Soziale Marktwirtschaft ethisch weiterdenken (Materialien für den Dienst)
incl. zugehörigem Materialienheft