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Podiumsgespräch zum Motto der Woche der Brüderlichkeit im Haus des Kirchenkreises

"Es fängt immer da an, wo man gerade ist", sagte Rabbiner Andreas Nachama. Um das diesjährige Motto „Angst überwinden - Brücken bauen“ in seiner Tiefe auszuleuchten, kam vier Tage vor der großen Eröffnungsfeier im Ruhrfestspielhaus im Haus des Kirchenkreises eine kleine Schar Interessierter zu einem Podiumsgespräch mit ihm, Domkapitular Dr. Friedrich Schumacher und Superintendentin Katrin Göckenjan zusammen.
Podiumsgespräch zum Motto der Woche der Brüderlichkeit  im Haus des Kirchenkreises

(v.r.) Domkapitular Dr. Friedrich Schumacher, Superintendentin Katrin Göckenjan, die Vorsitzende der christlich-jüdischen Gesellschaft Gerda Koch, Rabbiner Andreas Nachama und Moderator Parrer Roland Wanke

 

In Kooperation mit der Vorsitzenden der christlich-jüdischen Gesellschaft, Gerda E.H. Koch, hatte die Superintendentin Katrin Göckenjan ins Haus des Kirchenkreises zu einem Gesprächsabend mit Rabbiner Andreas Nachama, jüdischer Präsident des Koordinierungsrates für die christlich-jüdischen Gesellschaften (Berlin) und Domkapitular Dr. Friedrich Schumacher (Münster) eingeladen. 

Moderator Pfarrer Roland Wanke, Beauftragter für den christlich-islamischen Dialog, bat die Beteiligten eingangs, ein Brückensymbol für ihre Erfahrungen und Erwartungen bezüglich des christlich-jüdischen Dialogs auszuwählen und anhand dessen eine Zustandsbeschreibung zu versuchen.

„Meine Generation war die, die mit den Opfern war. Die in einer schwierigen Zeit, in der keiner wusste, wie es weitergeht, geholfen haben. Die gesagt hat: wir wollen eine solche Brücke bauen und das Schweigen überwinden“, erklärte Rabbiner Andreas Nachama anhand des Bildes einer Seilbrücke. 

Göckenjan wählt das Bild der Alten Brücke in Mostar („Stari most“), die im Krieg zerstört und danach wiederaufgebaut wurde: „So ist es für mich auch mit dem christlich-jüdischen Dialog: er wurde wieder aufgebaut, doch wird er wohl niemals ganz fertig sein. Und er hat eine fragile Mitte“, erklärte sie.

Mit dem Bild einer stabilen Eisenbrücke in der Hand erinnerte sich Schumacher an seine erste Reise nach Israel im Jahre 1965 „mit dem Käfer durch den Balkan und ersten Begegnungen mit arabischen Christen“. Die hätten gleich mit Blick auf das deutsche Kennzeichen gewarnt: „Passt auf, dass ihr nicht mit Steinen beworfen werdet!“ Der französisch-litauische, jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas, der heute mit seiner Kritik an der liberalen Ego-Gesellschaft so aktuell sei wie noch nie, habe bei einem Seminar über den Philosophen Rosenzweig klargestellt: „Sie sind Christen. Wir sind Juden. Wir können Jesus nicht als Messias anerkennen. Wir sind verschieden, und wir bleiben es.“ Ein richtungsweisender Appell zur Wahrhaftigkeit und für zwei klar voneinander getrennte Brückenpfeiler, die in sich stabil und nach außen klar erkennbar bleiben müssten

Auf die Frage Wankes, inwiefern Flüchtlingspolitik und Rechtspopulismus Einfluss auf das christlich-jüdische Verhältnis hätten, berichtete Schumacher empört davon, dass AfD-Politiker zum Katholikentag eingeladen worden seien: „Das kannst du doch nicht so stehen lassen!“ Der Beauftragte der AfD für die Kirchen verstehe sich offensichtlich als „Verteidiger des Abendlandes“. Nach Artikel 1 des Grundgesetzes könne es aber nicht um das „Abendland“ gehen, sondern darum, „nicht auf den Wolf im Schafspelz hereinzufallen“, stellte Schumacher klar.

„Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Klarheit“, unterstrich Göckenjan und erzählte von einer Frau, die beim gemeinsamen Essen angegriffen worden sei - und alle hätten geschwiegen. „Das sind die kleinen, privaten, gemütlichen Szenen, in denen es kippt. Wir sollten auch in unseren alltäglichen Begegnungen den Mut aufbringen, nichts davon stehen zu lassen“, sagte Göckenjan, auch mit Blick auf die wichtige Aufgabe, für Aufklärung in den Kirchen zu sorgen.

„Wir sollten nicht über die Stöckchen springen, die uns Leute von der AfD hinhalten“, mahnte Nachama. Antisemitismus gebe es überall in der Gesellschaft. „Die Arbeit, die wir hier machen, ist in einer wichtigen Phase“, so der Rabbiner. Es gehe darum, die Gesellschaft gegen solche Vorkommnisse zu immunisieren. „Antisemitismus findet dort statt, wo man sich bewegt. Es fängt immer da an, wo man ist. Und es beginnt mit einer unzulässigen Verallgemeinerung. Hier gilt es, beherzt zu widersprechen“, forderte der Geistliche. 

Schumacher lobte, mit wie viel Engagement das Thema kritisch in vielen Schulen und Ausstellungen aufgegriffen und behandelt werde, „damit die Geschichte ein Gesicht bekommt“. Göckenjan erinnerte an das Reformationsjubiläum und die wichtige Erkenntnis von Luthers spätem Antisemitismus aus der einfachen „Enttäuschung darüber, dass sich die Juden nicht bekehren lassen wollten.“ Es sei vielmehr „eine Gotteslästerung, das jüdische Volk von seinem Heilsweg abbringen zu wollen“, sagte die Superintendentin. Christinnen und Christen müssten lernen, Fragen zu stellen und eine andere Meinung auszuhalten - „was wir bisher schlecht aushalten konnten“, so Göckenjan. Dabei gelte es, im fragenden Aufeinanderzugehen gemeinsame Schätze auszupacken und die Lust auf Dialog zu fördern, „auch wenn wir uns nicht einig sind“.

Nachama berichtete von seinen guten Erfahrungen mit einem theologischen Arbeitskreis mit Juden und Christen in Berlin. „Wenn man solch einen Gesprächskreis nicht hat, hat man etwas verpasst. Nichts liegt näher als das“, freute sich der Rabbiner.

Die Gespräche zwischen Christen, Juden und Muslimen seien bei den Katholiken in Münster ein „heißes Thema“, berichtete Schumacher. Er hätte gerne die Woche der Brüderlichkeit „zu dritt“ gestaltet. Aber die Angst vor einer möglichen Vereinnahmung sitze tief. Von allen drei Seiten anerkannte Gesprächspartner zu finden, sei schwierig. Mit dem Abrahamsfest in Marl sei das anders, berichtete Göckenjan: „Man kennt sich. Aber Juden und Christen hängen existentiell aneinander, das sollte nach dieser Woche viel konsequenter zur Sprache gebracht werden“.

Neben dem Abrahamsfest, das in der Synagoge mit gemeinsamem Gesang eröffnet werde, gebe es auch das vor allem christlich-islamisch besetzte gemeinsame Gebet der Religionen, den Garten der Religionen, das Friedensgebet der Frauen, das Stadtjubiläum, erläuterte Wanke die vielen Aktivitäten im nördlichen Ruhrgebiet: „Es hängt an Personen, was möglich ist.“ 

Mit dem gemeinsamen „Haus der Religionen - House Of One“ in Berlin sei trotz organisatorischer Probleme schon einiges in Bewegung gekommen, erzählte Nachama und bekräftigte: „Der christlich-jüdische Dialog ist etwas anderes als der Trialog - aber es ist wichtig, dass es den Trialog gibt, weil es dadurch verschiedene Anknüpfungspunkte geben kann.“

Mit Blick auf die Erwartungen an die Woche der Brüderlichkeit formulierte Göckenjan: „Gemeinsam haben wir eine unglaubliche Tradition: ich bin vor Gott frei. Ich kann umkehren. Es gibt den Rhythmus von Arbeit und Leben - da wünsche ich mir von dieser Woche, dass wir davon etwas mitnehmen.“
Schumacher gab sich zuversichtlich hinsichtlich der Fortschritte im Dialog der Religionen, schränkte jedoch ein: „Aber ich bin mir nicht sicher, wie es mit dem Nachwuchs ist, dass wir noch genügend Substanz in den Kirchen haben.“ 

Deutschland sei ein Einwanderungsland, von daher hätten viele Menschen mit dem christlich-jüdischen Kulturgut nicht mehr viel zu tun, stellte Nachama klar: „Die Erinnerungspolitik muss deshalb neue Wege gehen.“ Er selbst stelle arabisch sprechende Referenten ein in der Hoffnung, „in vielleicht 30 Jahren eine bessere Erinnerungsperspektive“ zu haben.

Das Publikum interessierte vor allem das widersprüchliche Verhältnis der politischen Parteien zum Thema Flüchtlingspolitik. Schumacher erklärte dies mit dem sogenannten Sündenbock-Effekt: „Zur Entlastung der Mehrheit, die überleben will, muss einer 'geschlachtet' werden. Der Mechanismus sitzt tief drin. Er kann nur durch Aufklärung und Empathie aufgearbeitet werden.“ GH