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„Rede über den Glauben nur, wenn du gefragt wirst …“ - Vortrag von Altbischof Prof. Dr. Wolfgang Huber

WALTROP - Wie wäre es, wenn Gott einfach aus der Kirche austräte, die Kirche somit ohne Gott wäre? Wäre Gott jetzt - Gott sei Dank - frei und die Menschen hätten Zeit, ihn zu suchen? Mit dieser provokanten Überlegung des Niederrheinischen Theologen und Kabarettisten Hans-Dieter Hüsch startete das Team des Christlichen Freitagsforums im katholischen Haus der Begegnung in Waltrop einen tiefgründigen Abend mit Altbischof Prof. Dr. Wolfgang Huber über die Bedeutung und Wirkung des Reformationsjubiläums.
„Rede über den Glauben nur, wenn du gefragt wirst …“ - Vortrag von Altbischof Prof. Dr. Wolfgang Huber

Foto (von links): Michael-Clemens Schmale (Leiter der VHS), Prof. Dr. Wolfgang Huber, Pfarrer Ulrich Lammers

Ob das Reformationsjubiläum, das er selbst mit eingestielt habe, einen Attraktivitätsgewinn für die Kirche geben würde, hinge vor allem davon ab, ob Christen im Alltag Vorbilder für den gelebten christlichen Glauben werden würden, behauptete Huber eingangs. Das Reformationsjubiläum allerdings nur auf die Person Martin Luther zu beschränken und damit die Personalisierung des Reformationsjubiläums voranzutreiben, wie es jetzt in unserer Mediengesellschaft häufig passiere, sei ein Fehler, weil damit das Umfeld Luthers und das entscheidende Mitwirken anderer Reformatoren wie Philipp Melanchthon, Johannes Calvin, Huldreych Zwingli und Jan Hus ausgeblendet würden.

Die Entdeckung der Langsamkeit eines Martin Luthers, der sich Zeit nahm und Jahre brauchte, um den Apostel Paulus zu verstehen, dessen Erkenntnis ihm schließlich auf dem stillen Örtchen kam, sei auch eine Herausforderung an die Christen heute in einer schnelllebigen, mediengesteuerten Zeit, so Huber. Luthers Erkenntnis bleibe grundlegend wichtig für die Christenheit: „Gerecht, anerkannt sind wir nicht durch das, was wir selber machen, sondern durch das, was uns geschenkt wird: Gottes Gnade“, fasste Huber zusammen. Die sogenannte „Gegenreformation“, mit der die katholische Kirche auf die Erkenntnisse der Reformatoren reagiert und sich bestimmte Fragen zu eigen gemacht habe, zeige die Wirkungstiefe der reformatorischen Erkenntnis.

Huber verglich die langsame und mühevolle theologische Entdeckungsreise Luthers mit der seines Zeitgenossen Christoph Kolumbus, der bei einer seiner längsten und gefährlichsten Abenteuerfahrt auf das von den Grönländern vorher schon entdeckte Amerika stieß. Aber auch der Physiker Albert Einstein sei ein langsamer Schüler gewesen und hätte seine Welt verändernden Entdeckungen wohl seiner Langsamkeit zu verdanken.

So sollten sich auch Christen immer wieder Zeit nehmen und sich auf den Weg zur Entdeckung des Evangeliums machen, appellierte Huber an seine Zuhörerschaft, und sich angesichts der Gnade Gottes nicht selbst der Gnadenlosigkeit ausliefern. Mit der Freude auf Jesus, „in dem uns die Gnade ganz nahe kommt“, der uns hilft, aufrecht durchs Leben zu gehen, werde aus dem Reformationsjubiläum auch ein Christusjubiläum.

Christen müssten sich in ihrer Unterschiedlichkeit als eine Kirche begreifen lernen, sie müssten darüber Rechenschaft ablegen, was ihnen wichtig sei, dies sei die gegenwärtige Herausforderung an die Ökumene. Das Gemeinsame sei dabei wichtiger als das Trennende: „Das ökumenisch sein ernst nehmen, das ist die Zukunft, die mir vorschwebt: als die eine Kirche, die heilige Kirche“, so Huber unter Verweis auf das apostolische Kirchenverständnis der frühen Christenheit.

Auch bei Luther sei es nicht immer heilig zugegangen, so Huber, im Gegenteil. Mit seinem aus Nierenkoliken geborenen Jähzorn habe er immer wieder Beziehungen vergiftet - ob zu den Bauern, zum Papst oder zu den Juden, die sich nicht zu Jesus als auch ihrem Messias bekehren lassen wollten. Christen seien in ihrem Glauben zu vielen Fehlern fähig, so Huber. Dies zeige nicht nur der Blick auf Luther und die Reformatoren, sondern auch die Geschichte der Christenheit insgesamt. Nicht zuletzt hätten die Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus gezeigt, dass nicht nur der einzelne Christ, sondern auch die Kirche als Gemeinschaft in verheerender Weise sündigen kann. Auch darin bleibe die Kirche völlig auf die Gnade Gottes bezogen. In diesem Kirchenverständnis - dass der Einzelne und die Kirche als Gemeinschaft irren und sündigen könne - unterschieden sich Protestanten und Katholiken bis heute.

Das Glaubensbekenntnis der Christenheit beziehe sich auf „das Ganze“, auf die allgemeine, katholische Kirche und meine damit heute, dass in Zeiten der Globalisierung der ganze Globus unter der Gnade Gottes stehe. Alles Leben auf dieser Welt verdanke sich der Liebe Gottes, der den Menschen und damit alle Menschen zu seinem Bilde schuf. Nach einem Ausspruch von Kardinal Marx sei die Schöpfungsgeschichte die größte Revolution der Menschheitsgeschichte, weil sie die Gleichheit der Menschen vor Gott bezeugt und damit die Menschenwürde begründet habe. Im Spannungsfeld zwischen der universellen Gültigkeit der Menschenwürde und partikularen Interessen stehe die Kirche vor einer großen Herausforderung.

Die eine Kirche sei apostolisch, „zu den Menschen geschickt“, so Huber. Darin, also in der Zuwendung und Nähe zu den Menschen, sei die Kirche missionarisch. „Ich liebe die evangelische Kirche, aber mir fehlt die missionarische Intensität“, zitierte Huber den katholischen Schriftsteller Günther de Breu, um die Aufgabe zu beschreiben und fügte mit Blick auf die heutigen Hörgewohnheiten hinzu: „Auch wenn heute die Menschen kaum mehr zehn Minuten zuhören können: die tollsten Geschichten Jesu dauern nur 90 Sekunden!“

Das Reformationsjubiläum sei ein guter Anlass, um darüber nachzudenken, wie heute verantwortlich Glauben gelebt werden könne. Der Spruch „Rede nur, wenn du gefragt wirst, aber lebe so, dass man dich fragt“ (Paul Claudel) sei bezogen auf den Glauben seiner Meinung nach die beste Option für ein gelingendes Christsein. In einer Demokratie gehöre das Eintreten für die Menschenwürde aller und die Berufung zur Mitverantwortung und Einmischung zum Geschenk der christlichen Glaubensfreiheit.

Wir haben es heute mit einer verschärften Form der Pluralisierung zu tun, auch mit gefährlichen Formen. Wir sehen in Deutschland die verzerrten Bilder von Menschsein, bei denen einen schaudert, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass das mit dem Glauben an Gott zusammengeführt wird. Dagegen müssen wir gemeinsam und jeder einzelne aufstehen. Damit haben wir als Kirche und als Einzelne in dieser Gesellschaft reichlich zu tun“, skizzierte Huber die Herausforderung und fügte verdeutlichend hinzu: „Die Kirchen sind keine Bundesagenturen für Werte. Sie sind nicht dafür da, für alle die moralischen Standards zu formulieren und dann selber das, was sie gerade für politisch korrekt halten, auch noch religiös zu begründen.“ Jeder Einzelne bleibe persönlich verantwortlich mit seinem Beitrag für die Zukunft von Menschenwürde und Toleranz. Um die Haltung anderer Menschen zu achten, müsse man selbst wissen, was einem wichtig sei: „Wer sagt, es sei alles gleichgültig, wird nie zu Toleranz kommen.“ Dies betreffe auch das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit: „Zuviel Sicherheit schadet der Freiheit“, so Huber. Bezogen auf die Flüchtlingspolitik sei entsprechend nicht auf der Ebene moralischer Appelle, sondern nach Maßgabe der Nähe zu den Menschen zu entscheiden.

Eine zukunftsweisende Auseinandersetzung mit Luther und dem Reformationsjubiläum wäre, so Huber, die Frage, mit welchen Medien Luther heute kommunizieren würde - selbstverständlich mit den besten und effizientesten. Von Luther könnten die Christen auch lernen, sich nicht durch die Geschwindigkeit heutiger Kommunikation verleiten zu lassen, sondern langsam zu machen, sich vielleicht auch mal zu verstecken, sich zurückzuziehen, sich Zeit zu nehmen. Die christliche Freiheit, die sich der Gnade Gottes verdanke, sei keine willkürliche Freiheit, sondern eine, die den Menschen ökumenisch voranbringen soll und die Freude am Evangelium und am christlichen Glauben stärke.

In der Diskussionsrunde anschließend verwies Huber auf die Frage nach dem Bedeutungsverlust der Kirche im Staat seit den 1960er Jahren darauf, dass es heute, im Zeitalter der Digitalisierung, und wohl auch in Zukunft keine gemeinsame Basis mehr für gesellschaftliche Zusammenhänge geben werde. Moralische Vorbilder und menschliche Zeichen für Zusammenleben wären heute an unterschiedlichen Stellen zu suchen, die man für sich zusammensuchen müsse. Die katholische Kirche wolle beim Umgang mit ihren Fehlern, etwa Missbrauch, vor allem Schaden von der Institution Kirche abhalten. Die evangelische Kirche habe demgegenüber gar nicht mehr den Anspruch, „heilige Gemeinschaft“ zu sein. „Ich wäre auch traurig, wenn die Kirche die einzige Instanz wäre“, versicherte Huber und verwies als Beispiel für die Gnade Gottes, die sich nicht auf die Kirche beschränke, auf den Bereich der Musik, wo Menschen zusammen spielen könnten. „Manchmal finde ich sie auch in anderen Religionen“, zitierte Huber den berühmten Theologen Karl Barth, „oder ich gebe den Ungläubigen Recht und damit Gott die Ehre“. Kraft und Autorität im eigenen Bereich würden gestärkt, wenn „ich genau weiß, mit welchen Leuten ich mich verbünden will und mit welchen nicht.“

Auf die Frage, wie die Spannungen, welche die Reformation in viele Familien gebracht habe, überwunden werden könnten, antwortete Huber: „Es täte gut, unsere Wahrnehmung zu verändern. Viele tun in ihren Familien etwas, was uns allen gut tut. Die Zeiten sind vorbei, in denen wir uns in geschlossenen christlichen Konfessionen und Milieus bewegen. Die Teilnahme am evangelischen Abendmahl steht jedem offen, nicht jedoch im katholischen Milieu. Die Pflicht zum gegenseitigen Respekt verpflichtet uns, den Verzicht auf das gemeinsame Mahl zu respektieren. Der Weg dahin ist nur über das katholische Lehramt zu finden. Was eine bischöflich verfasste Kirche wie die Anglikanische Kirche hier schafft, könnte wegweisend sein auf dem Weg zu einer christlichen Identität.“

Eine christliche Identität, die sich nur auf ein Merkmal reduzieren ließe, gebe es aber nicht: „Der liebe Gott hat es so eingerichtet, dass wir nicht nur die Liebe zur Religion haben, sondern auch noch die Liebe zu uns und unserem Nächsten. Es ist kein Verrat am Glauben, die Vielfalt unserer Beziehungen wichtig zu nehmen.“ Seit den Anschlägen von 9/11 würden die Menschen aber auf ein Identitätsmerkmal reduziert, nämlich muslimisch oder nicht. Auch die Fußball-Fankultur zeige, dass viele dazu bereit seien, sich unter einem Identitätsmerkmal, nämlich ihrem Club, zu subsumieren.

Angesprochen auf die Glaubenskurse, die seit mehreren Jahren in den Kirchengemeinden angeboten werden, hält Huber diese für ein Erfolgsprojekt des Reformprozesses: „Es kann doch nicht sein, dass eine evangelischen Kirche zulässt, dass jemand sagt, für den Glauben haben wir die Pfarrer. Die Instrumentalisierung von Wahrnehmung, das Aufschwätzen eigener Meinung funktioniert nicht. Es sollte doch so sein, dass die Menschen ihre Vorstellung vom mündigen Glauben selbst formulieren können.“ 

Bezogen auf das Thema „Mission heute“ sei das Entscheidende am Glauben nicht die Zahl der richtigen Glaubenssätze, sondern „im Kern ein Vertrauen in Gott und ein Vertrauen in das Leben, das mir von ihm geschenkt ist. Ich darf als kleines Element in diesem Kosmos dieses Leben führen, das ist großartig. An diesen Punkt kann man nur kommen, wenn man Respekt hat vor diesem Zusammenhang. Für uns selbst wird etwas Klärendes passieren und für andere auch.“ Erfahrungsgemäß führe der Reizcharakter des Wortes „Mission“ zu einer Intensität in der Diskussion, die beachtlich sei. Im Vergleich mit der Wirtschaft, die mit dem Begriff selbstverständlich und unbefangen im Alltag umgehe, sei seltsamerweise die Kirche die einzige Institution, die den Begriff, den sie selbst in die Welt gebracht habe, scheue wie der Teufel das Weihwasser.

Abschließend auf den größten Störfaktor zwischen Evangelischen und Katholiken hin befragt, nannte Huber das katholische Amtsverständnis, das in der Unfehlbarkeit des Papstes kulminiere.

Text:/Bild: GH