Schuld, Buße und Umkehr
Der SZ-Journalist Matthias Drobinski entfaltete die schwergewichtige Themenstellung von Schuld, Buße und Umkehr
Drobinski griff dazu den Rücktritt des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff auf. Seitens der Gesellschaft und ihrer Medien zeige sich im Falle Wulff, dass „an die Stelle der Vergebung das Gnadenlose getreten ist: Wir suchen weiter und wir werden finden. Das war schlecht für die öffentliche Kultur eines Landes, die auch davon lebt, dass ihre zivilreligiösen Mechanismen von Buße und Vergebung, von Bekenntnis, Reue, Umkehr und Neuanfang funktionieren“, hob Drobinski kritisch hervor.
Bei Wulff habe der Bußakt und die Vergebung nicht funktioniert, weil „aus der Buße, bei der ein Sünder sich seiner Macht und seines Stolzes entledigte, die Wulff’sche Selbstentlastung geworden war: Schon gut, ich entschuldige mich für das, was ihr über mich herausbekommen habt.“ Wullf habe nicht um Entschuldigung gebeten, sondern versucht, sich selber zu entschuldigen. Er habe damit den Bußakt für seine Zwecke in verflachender Weise „banalisiert und für seine Zwecke instrumentalisiert“ und ihm dadurch seinen Sinn genommen. Historisch bedeutsame Bußakte, wie zum Beispiel den Kniefall Willy Brandts 1970 in Warschau, seien, so Drobinski, „Akte der Menschenwürde. Sie geben den Opfern und ihren Nachkommen Achtung zurück. Sie dienen der Vergewisserung, dass staatliches Handeln nicht moralfrei ist. Sie zeigen die Grenzen staatlicher Gewalt und derer, die sie ausüben.“
Die bei Wulff sichtbar gewordene Selbstentschuldungstendenz sei die andere Seite einer eigentlich positiven Entwicklung, beschrieb Drobinski. Die Psychologie und ihre Erkenntnisse über lebensgeschichtliche Prägungen und Abhängigkeiten biete für „alles Falsche, was wir tun, für alle Schuld, die wir auf uns laden, eine Erklärung“. Diese wirke jedoch zuweilen als Selbstentschuldigung, die Schuldverstrickung verleugne. „Der Selbstoptimierungswahn, der sich in den vergangenen Jahren doch arg verbreitet hat, der hat genauso wie die Selbstentschuldigungstendenz seine Wurzel in der Schuldvergessenheit“, präzisierte Drobinski. Der Mensch entkäme jedoch seiner Schuldgeschichte nicht: „Wir verdrängen Anderes, bauen unsere Häuser nicht auf unbewohntem Boden, essen Ausgerissenes und Getötetes, konkurrieren um Sozialränge und Sexualpartner.“ Glücklich sei derjenige, der diese für ihn selbst unlösbare Unausweichlichkeit vor Gott bringen könne. In diesem anerkennenden Schuldbewusstsein stecke das Potential für Unterbrechungen, Veränderungen und Neuanfänge. „Die Rede von der unausweichlichen Schuld, aber auch der immer wieder geschenkten Vergebung ist ein Dienst an der ganzen Gesellschaft“, formulierte Drobinski.
Das Publikum verfolgte die Überlegungen des Gastredners voller Spannung und stieg danach ein in ein angeregtes Gespräch mit dem Referenten. Diskutiert wurde die Bedeutung der Frage von Schuld, Buße und Umkehr in der Debatte um die geplante Forensik in Haltern, die Einschätzung des Rücktritts von Margot Käßmann, die Rolle der Medien in der Wahrnehmung öffentlicher Personen, die Frage der Glaubwürdigkeit der Politiker.
Musikalisch wurde der Abend von Pfarrer Gert Hofmann stimmungsvoll am Klavier begleitet.
Matthias Drobinski (*1964) studierte Geschichte, katholische Theologie und Germanistik in Gießen und Mainz, absolvierte seine Ausbildung an der Hamburger Henri-Nannen-Journalistenschule, war seit 1993 Redakteur bei "Publik-Forum" und ist seit 1997 bei der SZ in der Redaktion Innenpolitik zuständig für Religionsgemeinschaften und Kirchen. 2006 wurde ihm der Herbert-Haag-Preis verliehen. Drobinski veröffentlichte zahlreiche Bücher, wie zum Beispiel „Oh Gott, die Kirche. Versuch über das katholische Deutschland“ bei Patmos, Düsseldorf 2006, und gemeinsam mit Claudia Keller den Titel „Glaubensrepublik Deutschland“ bei Herder, Freiburg 2011.
Text: hh, Bild: uk