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Telefonseelsorge baut an einer virtuellen Community

ÖKUMENISCHER KIRCHENTAG Podiumsdiskussion in München
Telefonseelsorge baut an einer virtuellen Community

Die Leiterin der Telefonseelsorge Recklinghausen, Pfarrerin Gunhild Vestner, moderierte die hochkarätig besetzte Diskussionsrunde auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München.

MÜNCHEN – Menschen verlieben sich im Internet – warum also sollte die Seelsorge über dieses Medium nicht funktionieren? Auf skeptische Fragen nach den Seelsorge-Aktivitäten der christlichen Kirchen im weltweiten Netz gab eine Veranstaltung der Telefonseelsorge auf dem Ökumenischen Kirchentag in München eine eindeutige Antwort: Es geht. Bereits vor 15 Jahren waren Berater der Telefonseelsorge die ersten in Deutschland, die verzweifelten Computer-Surfern via E-Mail und per Chat Gehör schenkten. Die Erfahrungen der Pioniere bewiesen, dass es nicht nur über das Telefon gelingen kann, anonymen Ratsuchenden Hilfe und Trost für ihr Leben zu vermitteln.

„Vom Telefon zum Internet – Seelsorge in den neuen Medien“, war das Thema einer Podiumsdiskussion am Freitagnachmittag in der „Black Box“ des Münchner Kulturzentrums „Gasteig“. Moderiert wurde die Veranstaltung von Gunhild Vestner (Recklinghausen) und Michael Probst-Neumann (Bonn).

Die Teilnehmenden betonten einhellig die Notwendigkeit, mit Problembelasteten über alle möglichen digitalen Wege zu kommunizieren, auch wenn direkte zwischenmenschliche Beziehungen beim Online-Kontakt dabei in den Hintergrund treten. „Viele Menschen verbringen einen Teil ihres Lebens in den virtuellen Räumen des Internets“, so Podiumsteilnehmerin Petra Bosse-Huber (Düsseldorf), Vizepräses des Evangelischen Kirche im Rheinland. Darauf habe die Kirche deutlich wahrnehmbar reagiert, sagte sie mit Hinweis auf die Telefonseelsorgeaktivitäten im Internet und forderte, das bestehende Angebot der wachsenden Nachfrage anzupassen und die Online-Seelsorge auszubauen.

Wissenschaftlich untersucht wurden Online-Beratungsangebote von der Kölner Medienforscherin Dr. Christiane Eichenberg. Sie stellte fest, dass sich 80 Prozent der Internetnutzer über Gesundheitsfragen im Netz informieren. Dabei erwarteten die Surfer nicht nur Teilnahme, sondern zunehmend Problemlösungen von erkennbar seriösen Anbietern aus dem Internet, der Hinweis auf Beratungsstellen genüge den meisten nicht. In Foren hingegen gehe es vorwiegend um die Selbsthilfe Betroffener, Angebote professioneller „Experten“ seien dort weniger gern gesehen. Eichenberg bezog diese Erkenntnisse auf die Online-Angebote der Telefonseelsorge und kam zu dem Schluss, dass effektive Hilfe psychosozialer Art in Zukunft stärker auch direkt aus dem Internet zu beziehen sein müsse.

Bislang leisten viele der 105 in ganz Deutschland unter ökumenischer Trägerschaft arbeitenden Telefonseelsorge-Stellen Beratung hauptsächlich am Telefon – rund 2,2 Millionen Anrufe werden jährlich entgegengenommen, 17.250 E-Mail-Anfragen wurden 2009 registriert. 80 Prozent der Ratsuchenden seien Frauen, so Rüdiger Kerls-Kreß von der Telefonseelsorge Düsseldorf. Meist gehe es um Beziehungsprobleme in Partnerschaft und Familie, immer häufiger aber auch um sexuelle Gewalt und um Suizidgefährdungen. „Gegen den Kirchen-Trend“ wachse die Telefonseelsorge und öffne sich für neue und junge Zielgruppen – auch aus sozialen Milieus, die von der Kirche sonst nicht erreicht würden, betonte Kerls-Kreß.

Die Kirche sei herausgefordert, den Glauben unter den neuen Bedingungen der sich verändernden Lebenswelten von Menschen zu verkündigen, sagte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskommission auf dem Podium. „Telefonseelsorge hat von Anfang an das niederschwellige Angebot gemacht, die Intimität der Ratsuchenden zu wahren und ihre lebensweltlichen Sorgen in die Botschaft von der Zuwendung des guten Gottes zu den Menschen hinein zu nehmen“, lobte der Bischof.

Betroffen zeigte er sich von den Erfahrungen in der Chatseelsorge, die die ehrenamtliche Telefonseelsorgerin Barbara Rode aus Recklinghausen dem Publikum vorstellte. Auch ohne das Hören der Stimme, würden hier eindringlich die Nöte Betroffener deutlich. Bode setzte sich für das Ziel ein, auch in der Internet-Seelsorge die personale Begegnung zu stärken und eine echte Dialogstruktur zu ermöglichen. Von evangelischer Seite bekräftigte Petra Bosse-Huber die Wichtigkeit der Online-Seelsorge, die auf der Prioritätenliste ganz oben stehen müsse. So wie Paulus durch seine Briefe europäische Gemeinden „medial betreut“ und damit so etwas wie eine „virtuelle Community“ aufgebaut habe, sei es heute die Aufgabe der Kirchen mit den Menschen über das Internet Beziehungen aufzubauen.

Text: Lothar Simmank, Bild: uk