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„Überzeugt, die Welt bewegen zu können“

Christel Neudeck, Schirmherrin des 17. Abrahamsfestes, erzählte aus ihrem bewegten Leben. Zusammen mit ihrem Mann Rupert, der im letzten Jahr starb, hat Christel Neudeck so viel erlebt und bewirkt, dass es für mehrere Leben gereicht hätte.
„Überzeugt, die Welt bewegen zu können“

Christel Neudeck blätterte in der Pause in dem Fotokalender „Miteinander 2018“. Unter den jungen Leuten, die sie ansprachen, fühlte sie sich sichtlich wohl.

MARL -  Für fast zwanzig Ehrungen und Auszeichnungen, darunter im letzten Jahr der Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen, und zahlreiche Veröffentlichungen hat es allemal gereicht. Ihre Bücher stellte sie nach ihrem Vortrag im Pfarramt St. Pius in Marl-Brassert zum Verkauf aus, als sie dort als Schirmherrin des 17. Abrahamsfestes auf dem Weg zur Frankfurter Buchmesse Station machte.

Ein Vortrag? Wohl mehr ein autobiografisches Erzählen, mit dem Christel Neudeck ihre Zuhörerschaft sehr persönlich an ihrer Lebensgeschichte an der Seite ihres Mannes Rupert teilhaben ließ. Die begann 1969, als sie sich kennenlernten. Der in Hagen geborene Rupert brachte eine interessante Vergangenheit mit: er hatte Philosophie, Germanistik, Soziologie und Katholische Theologie studiert, 1961 das Studium abgebrochen, um Jesuit zu werden, war dann aber aus dem Orden ausgetreten und hatte eben sein Studium abgeschlossen - wie Christel auch, die aus einer Arbeiterfamilie stammte und Soziapädagogik studiert hatte. Als sie sich trafen, ging alles sehr schnell:  sie heirateten, er promovierte über „Politische Ethik bei Jean-Paul Sartre und Albert Camus“, sie bekamen drei Kinder, er wurde hauptberuflicher Journalist in Köln und sie zogen 1976 in ihr Reihenhaus in Troisdorf.

Ein Jahr später wurde Rupert Neudeck Redakteur beim Deutschlandfunk in der Abteilung Politisches Feature. Die Lebensgefahr und große Not vietnamesischer Flüchtlinge im Südchinesischen Meer im Jahre 1979 veranlasste die Neudecks zur Gründung eines Komitees mit dem Titel „Ein Schiff für Vietnam“. Der Frachter „Cap Anamur“, mit dem die Besatzung um Rupert über 10.000 Flüchtlinge aus dem Meer fischte und nach Deutschland brachte, wurde Namensgeber für die von den Neudecks und ihren Wegbegleitern 1982 gegründete Hilfsorganisation „Cap Anamur / Deutsche Not-Ärzte e.V.“.

Über seine Frau Christel und das Leben zu Hause in Troisdorf schrieb der Schriftsteller Günter Grass anhand einer fiktiven Person in einem seiner Romane: "… heiter gelassen, dabei immer geschäftig, sei es am Herd mit dem Eintopfgericht (...) oder sie hing am Telefon. Außerdem kamen fortwährend Besucher, Ärzte darunter, die ihre Dienste anboten. Dazwischen immerfort die drei Kinder. (...) Wir haben es in diesem Fall mit Idealisten zu tun, die sich einen Dreck um bestehende Vorschriften, Richtlinien und so weiter kümmern. Vielmehr sind sie, wie diese gute Frau in ihrem Reihenhaus, felsenfest davon überzeugt, die Welt bewegen zu können." (aus: Mein Jahrhundert, S. 310).

14 Jahre lang nutzte Christel das Wohnzimmer in Troisdorf als strategische Schaltzentrale für internationale Hilfseinsätze, für Konzeptentwicklung und als Ort der Mitarbeiterbetreuung für die vielfältigen Spenden- und Rettungsaktionen für Cap Anamur, während ihr Mann Rupert auf den Weltmeeren unterwegs zu Krisengebieten war.

Im Jahre 2003 gründeten sie, analog zu den Blauhelmen der Vereinten Nationen, das internationale Friedenskorps Grünhelme e.V., eine Freiwilligen-Hilfs-Organisation aus Christen und Muslimen, deren spezieller Auftrag es ist, sich in islamischen Ländern für die Opfer in Krisengebieten zu engagieren und durch die praktisch humanitäre Arbeit Ängste vor dem Islam abzubauen – zur Stunde beispielsweise in Afghanistan.

„Ich hatte damals seltsamerweise keine Angst um ihn“, verneinte Christel Neudeck die Frage einer Zuhörerin, ob sie sich denn um ihren Mann niemals Sorgen gemacht hätte. „Es ist auch immer gutgegangen – sogar da, wo es wirklich knapp war. Beispielsweise als Rupert mit Grünhelmen in Syrien war und drei Mitarbeiter von Islamisten entführt und gefangen gehalten wurden, ihnen aber dann die Flucht gelang“, erzählte die 74jährige, die auch schon Enkelkinder hat und fügte hinzu: „Heute habe ich viel stärker die Schere im Kopf.“

Doch damit nicht genug: seit 2005 arbeitet Christel Neudeck in der Telefonseelsorge mit, seit 2010 ist sie Mitglied im Kuratorium der „Gesellschaft Freunde Abrahams“, der auch ihr Mann bis zu seinem Tod angehörte. Von daher liegt ihr das 17. Abrahamsfest, für das sie die „Schirmfrauschaft“ übernommen hat, als interreligiöses Begegnungsprojekt zwischen Jung und Alt sehr am Herzen.

Ihre eigenen Kinder hat die authentische Verbindung zwischen Glauben und Leben und das starke humanistische Engagement der Eltern dazu motivieren können, selbst aktiv zu werden und sich in die Netzwerkarbeit der Eltern einzuklinken, was bekanntlich nicht selbstverständlich ist. Und wenn Christel Neudeck ein Bild von ihrer Enkeltochter zeigt, die eine Freundin aus Afrika innig umarmt, ist das ein kleiner, aber wichtiger Teil, der für das Ganze ihres Lebens steht und in die Zukunft weist: hin zu mehr Völkerverständigung, Mitmenschlichkeit und Miteinander. Dazu passte die Musik der sechsköpfigen Formation, die zu diesem Anlass erstmals unter dem Bandnamen "Maranatha" mit Songs aus dem Sakro-Pop-Spektrum auftrat. GH