Arbeit mit jungen Alten als Chance für die kirchliche Arbeit
(v.l.) Pfarrerin Ilona Klaus, Altenheimseelsorgerin und Stellv. Hospizdienst-Koordinatorin, Quartiersmanagerin Sandra Allerdisse, Cornelia Coenen-Marx und Julia Borries, Referentin für Erwachsenenbildung
Die aktuelle Herausforderung für die Kirchen und ihre Dienste und Einrichtungen bestehe darin, das überwiegend negative Bild von der Last des Alters zu korrigieren anhand eines Abgleichs mit dem aktuellen 7. Altersbericht der Bundesregierung. Es gehe nicht in erster Linie um die Belastung, sondern um „das, was möglich ist“, sagte Coenen-Marx
Die 70jährigen etwa seien so leistungsfähig wie die 50jährigen und lebten im Schnitt zehn Jahre länger. Viele lebten in nichtehelichen Partnerschaften oder seien solo und hätten überwiegend moderne Wertvorstellungen. Die eine Hälfte besitze Wohneigentum, die andere Hälfte lebe von einem eher niedrigen Einkommen. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen aber sei so hoch wie nie zuvor.
Dennoch steige der Anteil der wirtschaftlich, sozial und gesundheitlich Benachteiligten, die Ungleichheit wachse, so Coenen-Marx. Die Gruppe der 50- bis 65jährigen sei mit der Sorge für die Enkel und Eltern doppelt belastet. Speziell diese bräuchten Unterstützung, um ehrenamtlich in der Gemeinde und im Stadtteil tätig zu werden. „Das ist die stärkste Gruppe in den nächsten Jahren, allerdings mit deutlicher Distanz gegenüber der Kirche“, so Coenen-Marx.
Seelsorge im Alter sei Begleitung einer Entwicklung, so Coenen-Marx mit Verweis auf die Theorie des amerikanischen Theologen James W. Fowler: „Vom intuitiven und mystischen Kinderglauben über die reflektierte Auseinandersetzung mit Religion bis hin zu einer individuellen Perspektive“. Ziel sei ein „grenzenloses Vertrauen in den Sinn des Seins“.
„Das Christentum wird mystisch sein - oder es wird nicht sein“, zitierte Coenen-Marx sinngemäß die 2001 verstorbene Theologin Dorothee Sölle. Von daher gelte es, die spirituelle Suche der Alten zu entdecken und hochbetagte Demente und Pflegebedürftige durch die Kirchengemeinde zu unterstützen - insbesondere durch die 60- bis 80jährigen, die sogenannten „jungen Alten“, die ihre Kompetenzen einbringen wollten: „Wir brauchen die!“
Mit Blick auf dieses Potential und die Konkurrenz zu „anderen Vereinen“ stünden die Kirchengemeinden vor einer grundsätzlichen Erneuerung der Ausrichtung ihrer Angebote. „Alle anderen gehen, die Kirchengemeinde bleibt. Das Gemeindehaus kann ein Anlaufpunkt für Seniorengruppen sein: als Referenzgebäude für Feste und Feiern und für besondere Erfahrungen“, forderte die Referentin. Dazu gehörten selbstverständlich barrierefreie Zugänge, Abholdienste und Angebote zur Vernetzung und Beteiligung. „Entscheidend ist die Richtung: Von der Betreuung zur Selbstverantwortung“, so Coenen-Marx.
Viele Kirchengemeinden hätten den Blick für den engen Zusammenhang von Pflege und Altenarbeit verloren, der bis Ende der 70er Jahre in der Person der Gemeindeschwester erkennbar und erfahrbar war.. Mit der Abgabe der Pflege an die Diakonie in den 80er Jahren sei dieser elementare Zusammenhang verloren gegangen. Die Trennung von Kirche und Diakonie müsse überwunden werden.
„Wir brauchen neue Sorge-Netze“, auch für zu Hause, forderte Coenen-Marx. Lebendige Nachbarschaften lebten vom bürgerschaftlichen Engagement, insbesondere durch Männer und junge Menschen. „Wir müssen weg von der Betreuung, hin zur Hilfe für Selbsthilfe. Weg vom Angebot, hin zur Selbstorganisation“, stellte Coenen-Marx klar. Das Ziel sei, „unterschiedliche Wege und Formen der Selbstorganisation und der Spiritualität zu erproben“. Dazu sei die „Erneuerung des Selbstverständnisses“ notwendig und die Entwicklung eines anderen Bildes von Kirche: „Da, wo die Familien überlastet sind, kann die Kirche eine Art Großfamilie oder Ersatzfamilie sein“, fasste Coenen-Marx zusammen.
Wie eine in diesem Sinne erneuerte Seniorenarbeit aussehen könne, berichtete Quartiersmanagerin Sandra Allerdisse, die für die Kirchengemeinde Haltern am See für die Gruppe „Junge Alte Haltern / Gruppe 55 plus“ passende Angebote vorhält, koordiniert und moderiert. „Unser Ziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Wir knüpfen in Koproduktion mit anderen Anbietern Netzwerke gegen die Einsamkeit“, erläuterte die 43jährige. Für den Erfolg der Arbeit sei entscheidend, dass sie selbst nicht Teil der Gruppe sei, sondern „von außen kommend“ Brücken bauen und so die Anerkennungs- und Wertschätzungskultur in der Seniorengruppe fördern könne.
„Kaum jemand hat so viele Hauptamtliche wie die Kirche. Das ist ein großes Potential für die professionelle Organisation von Netzwerken und Kontakten, die wir für die Selbstorganisation von Sorge für sich selbst und Sorge für andere brauchen“, stellte Allerdisse abschließend fest.
Beide Beiträgen machten zusammen deutlich, dass Kirchengemeinden mit der aktiven Einbeziehung der jungen Alten ihre Rolle als wichtige Partner im Gemeinwesen, in der Entwicklung des Ehrenamtes oder im Aufbau sorgender Gemeinschaften bewusster wahrnehmen oder auch wiedergewinnen können.
Es wird wohl noch einige Versuche dieser Art auf den verschiedenen Arbeitsebenen und mit unterschiedlichen Kooperationspartnern brauchen, um das Potential vor Ort zu entdecken und ein entsprechendes Umdenken und Umstrukturieren zu befördern. Sinnbildlich dafür steht der Synodale Ausschuss für Altenarbeit des Evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen, der zu dieser Veranstaltung in Kooperation mit dem Evangelischen Referat für Erwachsenenbildung und dem Ambulanten Hospizdienst Oer-Erkenschwick eingeladen hat. GH