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Wir brauchen eine neue Augenhöhe der sozialen Gesellschaft

Auf dem Empfang des Ev. Kirchenkreises Recklinghausen übt der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, Dr. Wolfgang Gern, Kritik an öffentlicher Armut und wachsendem privaten Reichtum
Wir brauchen eine neue Augenhöhe der sozialen Gesellschaft

Dr. Wolfgang Gern als Gastredner beim Empfang des Ev. Kirchenkreises Recklinghausen in der Gustav-Adolf-Kirche

Als „leidenschaftlicher Verteidiger des Sozialstaats“ stellte sich gestern der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, Dr. Wolfgang Gern, auf dem Empfang des Ev. Kirchenkreises Recklinghausen in der Gustav-Adolf-Kirche in Recklinghausen vor. Dr. Gern ist Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes in Hessen-Nassau und kandidiert derzeit für das Bischofsamt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers in der Nachfolge von Margot Käßmann. 

Es sei die Aufgabe der Kirche, „Verzweiflung hoffnungsvoll zur Sprache zu bringen“, hob Gern anfangs hervor. Er erinnerte an den „Hunger nach Gerechtigkeit“, den der Prophet Amos klar zur Sprache gebracht habe. „Die Sparpakete sparen am schwächsten Ende, obwohl wir so viel zu verteilen haben“, sagte Gern und kritisierte unüberhörbar die Sozialpolitik der Regierungskoalition, die bei vielen von Armut betroffenen Menschen „Ohnmacht und Wut“ erzeuge. Armut betreffe vor allem kinderreiche Familien, Migranten und junge Menschen ohne Ausbildung. Seitdem die Europäische Union offiziell die Bekämpfung der Armut als politisches Ziel verkündete, habe sich die Armut in der EU verdoppelt, hielt Gern fest, der der Zuhörerschaft engagiert die konkrete Schilderungen von Lebenslagen und statistischen Daten zur Armutsentwicklung vorlegte.

In Deutschland ginge öffentliche Armut mit wachsendem privatem Reichtum einher. „Zehn Prozent der Bevölkerung besitzen sechzig Prozent des Geldvermögens“, beklagte Gern. „Unser Steuersystem begünstigt die Reichen und Vermögenden wie keines zuvor.“ Die Armut habe durch einen wachsenden Niedrigsektor und durch die Hartz-IV-Reform zugenommen. Mit dem Blick auf Kinderarmut forderte er: „Wir wollen, dass aus Kindern armer Eltern nicht wieder arme Eltern werden.“

Demokratie und Sozialstaat gehörten zusammen: „Es geht um ein neues Grundrecht für ein menschenwürdiges Leben. Wir brauchen eine neue Augenhöhe der sozialen Gesellschaft.“ Die Armutsbekämpfung müsse mehrheitsfähig werden, stellte Gern klar. Die Kirchen sieht Gern in Europa vor die Aufgabe gestellt, die Probleme „mit ihrem Blick von unten“ anzusprechen. Trotz aller Kritik an ungerechten Verhältnissen käme es ihm jedoch darauf an, Konfrontationen zu vermeiden und eine „Politik der offen Tür und der ausgestreckten Hand“ zu fahren.

Der Empfang, der musikalisch von der Band "Swining Brass" begleitet wurde, war zugleich auch der Abschluss der Wanderausstellung „Kunst trotz(t) Armut, die Peter Erdmann und Pfarrerin Silke Niemeyer als „gut gelungen“ bilanzierten. Es sei gelungen, „Armut auch mal mit anderen Mitteln ins öffentliche Bewusstsein zu bringen“, so Erdmann. Die Ausstellung wurde bis heute im gesamten Bundesgebiet von ca. 70.000 Besuchern gesehen. Die Stadt Recklinghausen war deren 24. Station.

Link zum Interview mit Dr. Wolfgang Gern im Weser-Kurier zum Thema

Bild: uka/Text: hh