Karin Soltani
Satire auf Saturn-Werbeprospekte:
David gegen Goliath
(Handelsjournal, April 2004)
Mit Flugblättern, die stark an die Prospekt-Grafik des Elektro-Handelshauses Saturn angelehnt waren, wollten Vertreter der evangelischen Kirche in Recklinghausen soziale Mißstände deutlich machen. Saturn drohte, und die Aktion wurde im Dezember 2003 gestoppt. Nun wird neu gedruckt.
"Arm sein ist geil" und "Bei uns werden Arbeitslose jetzt noch billiger!" titelte das vom evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen in Umlauf gebrachte Satire-Blatt Anfang Dezember. Der Vierseiter sieht den Werbeprospekten von Saturn täuschend ähnlich, Farbgebung und Typografie sind klar abgekupfert. Doch neben dem gehörnten Logo des Elektronikriesen steht im Saturn-Schriftzug "Satire" und "Geiz ist Geiz"!
"Es ging und geht uns nicht darum, die Werbekampagne von Saturn anzugreifen", betont Dr. Hans Hubbertz, Pfarrer beim Industrie- und Sozialpfarramt Recklinghausen. Gemeinsam mit Volker Brockhoff, dem Öffentlichkeitsreferenten des Kirchenkreises, hatte er die Satire-Aktion ausgedacht und realisiert. "Unser Anliegen richtet sich ganz entschieden gegen die Sozialpolitik, die die Regierung mit der Agenda 2010 betreibt", so der 43-jährige Sozialpfarrer. Mit dem Satire-Flugblatt, von dem 37.000 Exemplare bundesweit verteilt wurden, sollte der Arbeitsmarktpolitk und der Gesundheitsreform deutlicher Protest entgegen gesetzt werden. "Wir haben nach einem Trojanischen Pferd gesucht, um unsere Idee zu transportieren. Wir fragten uns, wer am lautesten brüllt, was den Zeitgeist angeht." Der "Geiz ist geil!"-Slogan, mit der Saturn seit Herbst 2002 in aller Munde ist, war da nur allzu willkommen. "Bent Rosinski hat als Chef der Hamburger Werbeagentur Jung von Matt diese intelligente Marketing-Strategie für Saturn entwickelt. Die wollten wir uns zunutze machen", sagt Dr. Hans Hubbertz.
Der paradoxe Gedanke, dass sich Geiz als Inbegriff von verkrampfter, gefühlsarmer Zurückhaltung in verschwenderische, lebensfrohe Geilheit verwandeln könnte, spiegelte für die Kirchenmänner perfekt die Absichten der Schröder-Politik wider: "Es ist doch ebenso paradox, den Sozialstaat herunterfahren zu wollen, um ihn zu erhalten." Begeisterte Reaktionen in Form von Anrufen, E-Mails, Medienberichten und Nachbestellungen ernteten Hubbertz und Brockhoff für die scharfzüngigen Formulierungen in ihrem Printprodukt. Bis die Saturn-Zentrale in Ingolstadt mit juristischen Schritten drohte, nachdem in Frankfurt und Gelsenkirchen die Streitschrift direkt vor den Filialen verteilt worden war. "Der Warenhauskonzern zeigt durchaus Verständnis für das Anliegen des Kirchenkreises, wäre aber gerne zuvor gefragt worden", teilte ein Sprecher des Konzerns mit.
Zwar wurde auf Rechtsmittel verzichtet, doch schwere Geschütze hatte der Gott des Geizes vorsorglich in Stellung gebracht: Saturn kündigte ein Verfahren wegen schwerer Imageschädigung und dem Angriff auf die Persönlichkeitsrechte des Saturn-Modells Sarah Kickuth an. Als Streitwert hätte, so befürchteten die Rechtsberater des Kirchenkreises, der Werbeetat über 420 Millionen Euro ins Feld geführt werden können. "Plötzlich kamen wir uns vor wie Exorzisten im Tempel des Konsums. Der Werbeetat entspricht ungefähr dem gesamten Haushalt unserer Landeskirche, da hätte David gegen Goliath gekämpft", so der Sozialpfarrer. "Zwar ist die juristische Begründung lächerlich, doch wir haben die Grätsche gemacht und vor der Macht des Kapitals zurückgezuckt."
Schützenhilfe kommt jetzt vom Düsseldorfer Obdachlosen-Magazin "Fifty Fifty". Herausgeber Hubert Ostendorf will das Recklinghäuser Satire-Prospekt mit einer Auflage von 40.000 Exemplaren zusammen mit seiner Zeitschrift verteilen lassen. "Saturn fühlt sich völlig zu Unrecht auf den Schlips getreten", argumentiert Ostendorf. "Wer die Spaßgesellschaft bedient, muss auch Spaß vertragen können." Angst vor Saturns Rache hat der engagierte Herausgeber nicht. "Es gehört doch kein Mut dazu. Wir fühlen uns durch Artikel 5 des Grundgesetzes, dem Grundsatz der freien Meinungsäußerung in Wort und Bild, und der Freiheit der Kunst bestätigt. Sollte Saturn per einstweiliger Verfügung gegen uns vorgehen und den Streitwert wirklich in dieser Höhe beim Richter durchsetzen, können wir uns immer noch mit unseren Anwälten beraten." Zu früh sei die Kirche in die Knie gegangen, findet nicht nur Hubert Ostendorf. Eine Bestätigung für Pfarrer Hubbertz: "Wir hätten uns durchaus noch eine Pirouette leisten können, und überlegen jetzt, wie wir weiter machen. So schnell wie möglich."
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